Thomas Voss nennt sie den „Hexenkessel“, und er weiß, wovon er spricht. Denn der Nationenpreisreiter aus Schülp um die Ecke hat sich in den Holstenhallen von Neumünster schon einmal den „großen Traum jedes Holsteiner Reiters“ erfüllt und mit dem Holsteiner Wallach Leonardo B im Jahr 2007 den Großen Preis gewonnen. „Leonardo B lebt noch, hier bei Neumünster“, fügt er an. Los ging es für ihn, der auch mit seinen 61 Jahren an diesem Wochenende unter sicher tosendem Applaus wieder in seinen „Hexenkessel“ einreiten wird, in Neumünster im Alter von 15 Jahren in einem Kostümspringen als Garde-Kürassier. „Das Kostüm war die alte Uniform meines Großvaters aus Berlin.“
Man sieht, wenn am Donnerstag in Neumünster zum 70. Mal die Tore aufgehen für die VR Classics, dann ist da viel Familiäres, viel Emotionales und vor allem ungeheuer viel Stimmung im Spiel. Und eben ganz viel Erinnerung.
Auf mehr als 1 Million Euro ist inzwischen der Etat gestiegen für ein Gesamtpaket, zu dem nicht nur der Große Preis am Sonntagnachmittag als Höhepunkt gehört. Neumünster ist auch die neunte Etappe des FEI Dressage World Cup (die Bewerbung für 2021 läuft schon) und das Finale der Bemer Riders Tour. Zwar ist sich Co-Veranstalter (mit Ehefrau Bettina Schockemöhle) Paul Schockemöhle sicher: „Nisse kann beruhigt herkommen und sich seinen Landrover abholen.“ Aber obwohl Nisse Lüneburg mit großem Abstand in der Tour-Wertung führt, will der Reiter selbst nichts dem Zufall überlassen: Diesmal nächtigt er bei seinen Pferden vor Ort und verkneift sich die Hin- und Herfahrerei zwischen dem Stall in Wedel und den Holstenhalen in Neumünster.
Einer, der die Tour nicht mehr gewinnen, aber wegen der engen Punkte-Abstände noch weit nach vorne in der Gesamtwertung springen kann, ist Harm Lahde. Kein Holsteiner, aber immerhin schon einmal Zweiter im Großen Preis und deshalb besonders motiviert, ihn auch einmal zu gewinnen. Er trifft im ovalen, eckenlosen Parcours, wo Reiter das Gefühl haben, die Zuschauer sitzen mit auf dem Pferd, auf seinen einstigen Ausbilder als Konkurrenten: Felix Haßmann will schließlich selbst gewinnen.
Wie gesagt, Reminiszenzen und Emotionen gehören in Neumünster grundsätzlich dazu. Da kramt selbst Paul Schockemöhle in den Erinnerungen, der selbst hier einmal, 1972, gewonnen hat. Auf Agadir – und dann spult er auch gleich, fast 50 Jahre danach, aus dem Ärmel geschüttelt, die Daten und Abstammung herunter. Und erinnert sich auch noch an ein Sb-Springen jener Zeit, als die Stangen knapp wurden: „Im zweiten Stechen gab es nicht mehr genug rotweiße und blauweiße Stangen. Es waren zu viele zu Bruch gegangen. Da sprangen wir dann über weiße.“ Aber, wie meistens bei ihm, folgte nach der Erinnerung der Blick in die Gegenwart, vor allem ein Riesenlob auf die deutschen Parcoursbauer, die so präzise ihre Hindernissen bauten, dass fast immer die gewünschte Zahl an Stechteilnehmern herauskommt. Originalton Paul Schockemöhle, der als Reiter noch im Januar und Februar meistens Pause machen konnte: „Die Höhen der Hindernisse haben sich nicht viel verändert, aber sonst fast alles. Vor allem die technischen Finessen.“
Was sich in Neumünster auch kaum verändert hat, ist das Rahmenprogramm mit dem Staffettenspringen Pony plus Großpferd, an dem einst auch ein Mädchen namens Janne Friederike Meyer auf einem Pony mitmachte, gemeinsam mit dem späteren Weltmeister Jos Lansink auf einem Großpferd – und sich beschwerte: „Der war zu langsam.“ Dazu gehört das Mannschaftsspringen des Holsteiner Reiter-Nachwuchses im Jugend-Team-Cup und das S-Springen mit Kostümwertung. 2019 gewann ein Marienkäfer namens Michael Ziems.
Zwei Wege zu Tickets gibt es: Die Kunden der VR Bank/Volksbanken kommen am Freitag durchs Vorzeigen ihrer EC-Karte kostenfrei hinein, ansonsten über die Ticket-Hotline +49 (0) 4321 / 755421 oder per E-Mail an: tickets@vr-classics.de