Montagabend, 18 Uhr: Deutschlands Turnierreiter sitzen vor ihrem PC oder am Handy und versuchen, einen Startplatz für die kommenden Turniere zu ergattern. 18.01 Uhr: Die begehrtesten Prüfungen mit begrenzter Startplatzzahl sind bereits ausgebucht. Die Enttäuschung bei all denen, die leer ausgegangen sind, ist groß. Über Hintergründe und mögliche Lösungsansätze spricht Soenke Lauterbach, Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), im Interview.
Gerade erst dürfen auch die Amateure wieder auf Turnieren starten. Im Moment herrscht allerdings großer Frust im Lande, da es gar nicht so einfach ist, einen Startplatz zu ergattern. Woran liegt das?
S. Lauterbach: „Das Kernproblem liegt darin, dass Angebot und Nachfrage nicht übereinstimmen. Es gibt grundsätzlich weniger Startplätze, als nachgefragt werden. Das liegt natürlich auch an der Corona-Situation und wird sich hoffentlich in nächster Zeit etwas entspannen. Die Problematik gab es aber auch schon vorher. Vergleicht man die Zahlen von 2015 und 2019, dann stellt man fest, dass bei gleich vielen Turnieren die Zahl der Prüfung in dieser Zeit um knapp 3.700 geschrumpft ist. Und weniger Prüfungen bedeuten weniger Startplätze.“
Wir stellen aber doch auch fest, dass am Ende die Starterfüllung deutlich zurückgegangen ist. Wie passt das zusammen?
S. Lauterbach: „Wir befinden uns in einem Teufelskreis. Der Rückgang an Prüfungen hat dafür gesorgt, dass die Veranstalter überrannt wurden. Daraufhin haben sie die Notbremse gezogen, das heißt, ihre nennbaren Startplätze begrenzt. Daraufhin haben die Reiter festgestellt: Wer einen Startplatz will, muss schnell sein. Das wiederum hat dazu geführt, dass alle gleichzeitig online gehen, wenn Prüfungen nennbar werden. Und dass genannt wird, was irgendwie geht – ob ich am Ende dann tatsächlich reiten will oder nicht.
Teilweise hatten wir in letzter Zeit über 10.000 registrierte Anwender gleichzeitig auf Nennung-Online, die geschätzte 50.000 Startplätze nachgefragt haben. Es gab aber nur insgesamt 20.000 Startplätze. Das System muss daher prüfen, ob noch Plätze verfügbar sind und der Nenner startberechtigt ist. Ist ein bestimmtes Limit erreicht, nehmen die Server erst neue Anfragen an, wenn wieder Kapazitäten frei geworden sind. Stellen Sie sich ein vollbesetztes Parkhaus vor, mit einer Warteschlage davor. Rein geht es erst wieder, wenn einer rausfährt, wobei in jedem einzelnen Fall geprüft wird, ob man überhaupt da parken darf. Das System funktioniert – aber eben nur mit Wartezeiten. Daran ändert sich leider auch nichts, wenn mehr Einfahrten geschaffen werden.“
Kann man das Limit nicht hochsetzen oder die Sache anderweitig beschleunigen?
S. Lauterbach: „Das haben wir getan. Wir haben die Serverkapazitäten in den letzten Wochen verdoppelt und den Programmcode optimiert, damit die Vorgänge noch schneller abgearbeitet werden können. Das hat allerdings Grenzen, wenn es nicht zu Überbuchungen kommen soll, weil die Prüfung der maximal zulässigen Startplätze dann nicht mehr zuverlässig funktioniert. In diesem Fall müssen dann die Überbuchungen wieder abgelehnt werden. Es bringt also keinen Vorteil, sondern erhöht eher noch den Frust, wenn eine Nennung erst abgeschickt werden konnte, obwohl eigentlich schon kein Startplatz mehr vorhanden war, und man dann hinterher abgelehnt wird. Wie gesagt, das Kernproblem liegt im Angebot an Prüfungen. Bestenfalls würde eine höhere Performance unseres Systems dazu führen, dass die Startplätze zu besonders begehrten Prüfungen dann eventuell schon nach 45 oder 30 Sekunden statt in einer Minute vergeben wären. Dadurch würde aber kein einziger Nenner einen Startplatz mehr bekommen. Es hieße nur noch schneller: Game over.“
Aber irgendetwas muss doch passieren. Was tut die FN?
S. Lauterbach: „Eine Maßnahme war gerade die Begrenzung auf nur noch ein Login. Um beim Parkhaus-Beispiel zu bleiben. Wenn sich hier Nutzer quer auf zwei Plätze stellen oder mit Anhängern reinfahren, dann bleiben natürlich immer weniger Plätze für die anderen übrig. So war es bei Nennung-Online. Einige Nutzer haben sich gleichzeitig auf mehreren Geräten eingeloggt, um so, mit Hilfe von Freunden und Familie, die Chancen auf Startplätze zu erhöhen. Das ist jetzt nicht mehr möglich – ein kleiner Beitrag zu mehr Gerechtigkeit.“
Was kann man noch tun, um die Situation zu verbessern?
S. Lauterbach: „Wie gesagt, eines der Hauptprobleme ist das veränderte Nennverhalten. Abhilfe geschaffen wird beispielsweise dadurch, dass die Turniere zu unterschiedlichen Zeiten nennbar gemacht werden – also nicht alle auf einmal montags um 18 Uhr. In einigen Landesverbände wird das mit Erfolg praktiziert und kommt wohl auch bei den Reitern gut an. Ein weiterer Weg ist es, die Ausschreibung zunächst für eine bestimmte Zeit online zu stellen, so dass die Reiter sie in Ruhe lesen und sich ihre Wunschprüfungen aussuchen können, und sie dann erst zu einem späteren Zeitpunkt nennbar machen. Das ist alles jetzt schon möglich, allerdings können nicht wir das einfach entscheiden. Das Turnierwesen liegt in der Hoheit der jeweiligen Landeskommissionen für Pferdeleistungsprüfungen. Es ist also ein bisschen so, wie wir es gerade in Corona-Zeiten erleben. Die Regierung und die Ministerpräsidenten stecken eine gemeinsame Linie ab, wie es nachher umgesetzt wird, entscheiden die Bundesländer.“
Können auch die Veranstalter und Reiter selbst etwas tun?
S. Lauterbach: „Ja, auch die Veranstalter können durch eine entsprechende Ausschreibung zur Entspannung der Lage beitragen. Wenn ich ein A-Springen mit 50 Startplätzen für drei Leistungsklassen und zwei komplette Landesverbände ausschreibe, muss ich davon ausgehen, dass theoretisch einige Tausend Reiter startberechtigt sind. Warum nicht besser nur die Reiter aus den umliegenden drei Kreisverbänden einladen? Auch dann bekommen vielleicht nicht alle Zugangsberechtigten einen Startplatz, aber die Chance ist deutlich größer. Wir haben den Landeskommissionen übrigens angeboten, ihnen ein Tool zur Verfügung zu stellen, mit dem sie direkt sehen können, wie sich die Zahl der möglichen Startberechtigten verändert, je nachdem, wie ausgeschrieben wird. Im Grunde können Veranstalter diese Zahlen aber schon immer bei den LK anfordern.
Und ich komme nochmal auf den Anfang zurück. Die beste Lösung ist es, wenn einfach mehr Prüfungen angeboten werden. Wer also Startplätze möchte, sollte sich in seinem Verein dafür einsetzen, dass ein Turnier veranstaltet wird, dass jede Prüfung passend ausgeschrieben und nicht halb Deutschland eingeladen wird. Und er sollte sich natürlich auch aktiv in die Umsetzung einbringen, zum Beispiel als freiwilliger Helfer in der Turnierabwicklung. Wie heißt es so schön: Wenn jeder noch einen mitbringt, sind wir doppelt so viele!“