Er weiß, wie man pokert. Weil Gerrit Nieberg das gerne in seiner Freizeit macht. Vielleicht half auch dieses Ass im Ärmel auf dem Weg zum sensationellen Sieg im Rolex Grand Prix beim CHIO Aachen am Sonntag. Mit seinem elfjährigen Westfalen-Wallach Ben (v. Sylvain) hat sich der 29jährige in die Geschichtsbücher eingetragen und sich auf der legendären Sieger-Tafel im Aachener Stadion verewigt.
Und das ist schon ein kleines Wunder. Auch wenn Gerrit Nieberg natürlich kein Unbekannter ist, in dieser Saison schon erfolgreich Nationenpreise bestritt und sich auch beim Weltcup-Turnier in Leipzig mit vorderen Platzierungen ordentlich in Szene setzte – hatte die bis dato Nummer 106 in der Weltrangliste beim Rolex Grand Prix wohl niemand so richtig auf dem Zettel. spring-reiter.de hat den sympathischen Sohn des Mannschafts-Olympia-Gewinners (1996 u. 2000) sowie Mannschafts-Welt- und Europameisters, Lars Nieberg, zum Interview getroffen.
„Ich kann es alles noch gar nicht glauben. Für mich ist ein riesengroßer Traum in Erfüllung gegangen“, sprudelte es aus dem glücklichen Rolex Grand Prix Sieger nach seinem Triumph heraus. Noch am Vorabend hatte spring-reiter.de Gerrit Nieberg mit seiner Freundin Johanna an der Bar der Riders Lounge getroffen. „Nein, nervös oder gar aufgeregt bin ich nicht. Ich habe ja nichts zu verlieren“, lachte Nieberg und wirkte dabei tiefenentspannt.
Dabei lag eine Karriere im Springsattel lange nicht auf der Hand, zog er lieber Fußballschuhe als Reitstiefel an. „Wenn mein Vater im Fernsehen war und meine Mutter mir sagte, bleib mal hier, Papa kommt gleich, habe ich gesagt, du kannst mir ja später erzählen, wie er war“, schmunzelt Gerrit heute. „Das Interesse an den Pferden kam relativ spät. Ich habe erst so mit 13 Jahren angefangen zu reiten. Davor war mein Fokus beim Fußball, es hat sogar für ein DFB Stützpunkt gereicht“, erinnert sich Nieberg.
Bis sich das Blatt plötzlich wendete. Von einem Tag auf den anderen fing er mit dem Reiten an, vielleicht auch, weil der jüngere Bruder Max schon länger in den Sattel stieg. „Nach einer Woche sagte ich schon, ich will Bereiter werden“, lacht Gerrit Nieberg. Er hängte die Fußballschuhe an den Nagel und konzentrierte sich voll aufs Reiten. Wenn auch noch im normalen Rahmen. „Wir haben nie frei genommen von der Schule, um aufs Turnier zu fahren. Ich bin nie eine Deutsche Jugendmeisterschaft oder beim Preis der Besten geritten“, sagt Nieberg.
Nach der Schule machte er erst mal eine Lehre als Steuerfachangestellter. „Das war so der Deal, damit ich auch noch etwas Vernünftiges habe, falls es mit dem Reiten nicht so klappt. Und es ist auch nicht verkehrt, hier ein paar Einblicke zu haben“, lacht Nieberg augenzwinkernd. Anschließend absolvierte er noch eine Ausbildung zum Pferdewirt beim DOKR in Warendorf, krönte den Abschluss mit der bestandenen Meisterprüfung. Doch erst die Partnerschaft mit seinem Erfolgspferd, dem Holsteiner Hengst Contagio, öffnete ihm die Türen zum Großen Sport. Mit ihm gewann er u.a. den Großen Preis in Frankfurt. Von da an ging es steil nach oben.
Auch mit der großen Unterstützung seines Vaters Lars. Er gab ihm auf dem Weg ins Stechen beim Rolex Grand Prix auch den entscheidenden Tipp: „Lass Ben mal so richtig gehen, so richtig. Fünfter bist du sowieso.“ Der Sohn befolgte den Rat und gewann – Teamwork! Zusammen sind sie auf dem Gestüt Gut Berl von Henrik Snoek angestellt, machen gemeinsam einen Turnierplan, haben mit Snoek zusammen ein paar gemeinsame Pferde.
Meist kommt der Vater mit zu den großen Events, gibt seinem Sohn wertvolle Tipps. „Das gibt natürlich eine enorme Sicherheit“, gesteht Gerrit Nieberg, der sich selbst als ruhig, bescheiden und zurückhaltend beschreibt. In diesem Jahr startet Nieberg auch erstmalig bei der Global Champions Tour, reist durch die Welt. „Das ist genau das, was ich will“, gesteht Nieberg. Seine Freundin Johanna begleitet ihn „so oft es geht“.
Und er hat große Pläne. „Mein größtes Ziel in diesem Jahr ist die Weltmeisterschaft in Herning“, verrät Gerrit Nieberg. Auf der Longlist ist er dank seines Grand Prix Sieges schon mal. Er ist kein Träumer, weiß, dass dieses WM-Ziel auch andere verfolgen. Aber er ist selbstbewusst genug, seinen Stärken und die seines Pferdes Ben, der schon mal „übermotiviert“ sein kann, einschätzen zu können.
Und er guckt genau, wie es seine Vorbilder machen, wie Daniel Deusser, den er sehr bewundert. „Ich mag seine Art und Weise wie er reitet. Wie er mit den verschiedensten Pferden umgeht. Und seine Konstanz, die er in seinem System hat. Das ist beeindruckend.“
Jetzt steht erst mal Urlaub auf einer griechischen Insel an. Und dann wird sich zeigen, wo die weitere Reise hingeht. Wenn man die FEI Weltrangliste ansieht, auf jeden Fall steil nach oben. Stand Nieberg im letzten Monat noch auf der Nummer 106, schoss er jetzt auf Position 69 hoch. Es geht voran. Auch ohne Pokerface.
Text und Interview: Corinna Philipps