Interview mit dem Deutschen Meister Mario Stevens: „Ohne unsere Pferde sind wir NICHTS!“

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Sie sind schon jetzt das perfekt Match und dabei hat ihre gemeinsame Reise gerade erst begonnen: Mario Stevens und sein neunjähriger Starissa (v. Stakkato Gold) kennen in dieser Saison bisher nur eine Richtung und die zeigt steil nach oben. Egal wo die beiden an den Start gehen – fast immer gibt es eine Schleife. Nach Top-Platzierungen beim Weltcup in Leipzig, einem 3. Platz im Grand Prix in Hagen, Platz vier im Großen Preis von Hamburg krönten die beiden ihren Lauf mit dem Deutschen Meistertitel in Balve und platzierten sich anschließend sogar im Rolex Grand Prix in Aachen. Auch im Grand Prix auf Hof Waterkant am vorletzten Wochenende mischten sie Grand Prix vorne mit. spring-reiter.de hat den Deutschen Meister zum Interview getroffen und mit ihm über den rasanten Aufstieg mit Starissa gesprochen, auf den er selbst nicht gewettet hätte, über seine Leidenschaft zu Pferden und den Springsport.

„Ich habe ja schon viel gewonnen in meiner Karriere, aber dieses Jahr war schon besonders“, bringt Mario Stevens seine diesjährige Erfolgsbilanz auf den Punkt. Mein Pferd ist neun Jahre alt. Wenn mir am Anfang des Jahres jemand gesagt hätte, du wirst Deutscher Meister und Du qualifizierst Dich für den großen Preis von Aachen, dann hätte ich unterschrieben und gesagt: Dankeschön. Dass ich dann auch noch elfter im GP von Aachen werde, dass Starissa drei Tage in Aachen so gesprungen ist, das war unglaublich.“ In drei CSI5* Springen beim CHIO über 1,60m inklusive zwei Runden im Grand Prix leistete sich der Stakkato-Gold Sohn nur einen Springfehler. Und den nahm der Reiter auf seine Kappe.

„Ehrlich gesagt, in Aachen im Großen Preis am Sonntag habe ich gedacht, es können noch zwei Runden mehr kommen. Weil es Starissa so einfach fällt“, schwärmt Stevens von seinem Sportpartner. Ein unbeschreiblich tolles Gefühl sei das gewesen:  „Ich habe mir die Runden in Aachen bestimmt 20 Mal angesehen. Wenn man dann sieht, wie er die Dreifache spring, den Rolex Steil-Sprung überwindet und mit gespitzten Ohren ins Ziel läuft, kann man glaube ich sehen, dass das Pferd auch wirklich Spaß daran hat. Einen besseren Beweis gibt es nicht.“

Eine enorme Team-Entwicklung, die auch Stevens überrascht hat: „Ich dachte Starissa wächst dieses Jahr langsam in alles herein, dass ich mitmache in Balve, mich für Aachen qualifiziere. Aber das das dann jetzt so alles gekommen ist, war ja nicht abzusehen. Das konnte keiner ahnen, ich auch nicht.“

Sogar auf die Longlist für die Weltmeisterschaft in Herning hat es das Paar geschafft. War er enttäuscht, am Ende doch nicht im Team dabei zu sein? Der 40jährige schüttelt entschieden den Kopf: „Ein klares nein. Mein Pferd ist ja erst neun Jahre alt. Zehn Leute waren auf der Longlist, ich bin stolz, dass ich dabei war. Das ist auch eine Anerkennung.“

Zu Gute kommt dem Dreamteam, dass es ziemlich gleich tickt:  „Wir haben schon viele Ähnlichkeiten. Er ist auch sehr, sehr ehrgeizig, sehr aufgeweckt und sehr interessiert. Er will alles wissen, auch im Stall oder wenn er auf dem Abreiteplatz ist“, erzählt Stevens, der bereits 2018, damals mit Talisman de Mazure, Deutscher Meister wurde. Starissa liebe es zudem, „betütelt zu werden, täglich geht er aufs Paddock und wird geführt. Zur Erholung und Regeneration plant Stevens immer wieder längere Turnierpausen ein.  

Ist Starissa für ihn ein Sechser im Lotto? „Das ist schwer zu sagen, ich hatte schon viele gute Pferde.“ Stevens erinnert sich an MacKinley, das ehemalige Olympia-Pferd von Rolf-Göran Bengtsson. Mit ihm bestritt Stevens u.a. erfolgreich CSI5* Nationenpreise, wurde er Sechster in Spruce Meadows. Auch ein Brooklyn, mit dem er viele Große Preise gewann, hat ihn „unwahrscheinlich nach vorne gebracht“. „Das sind drei ganz verschiedene Pferde, drei verschiedene Situationen. Ich bin natürlich auch gereift, die letzten Jahre, weiß, worauf es ankommt. Daher fällt ein Vergleich schwer.“

Auch wenn er im Springsport ein „alter Hase“ ist, setzt Stevens gerne auf den Rat und die Unterstützung von Kollegen:  „Wenn man so ein Pferd hat wie Starissa oder auch mein achtjähriges Pferd Carrie und wenn man immer nur alleine reitet, dann schleichen sich auch Fehler ein. Und so war es dann auch ein bisschen. Starissa hat sich sehr gut angetan, aber am ersten Tag beim Weltcup Turnier in Leipzig war mein Gebiss zu scharf. Marcus Ehning sagte zu mir, du dein Pferd springt super, aber das Gebiss ist nicht so toll. Das war schon dass, was ich auch für mich gedacht habe, aber ich war natürlich froh, dass mir das ein guter Freund wie Marcus Ehning dann auch so gesagt hat. Und dann war natürlich die Entscheidung am Samstag und Sonntag ein anderes Gebiss zu nehmen leichter.“ Vor der Deutschen Meisterschaft trainierte Stevens bei Marco Kutscher: „Weil Marco und ich gute Freunde sind habe ich ihn einfach gefragt, du kannst du mir ein bisschen helfen mit den beiden Pferden. Ich bin dann in Vorbereitung zur DM ein paar Mal zum Training zu ihm gefahren, wir telefonieren viel, Marco kommt auch oft zu Turnieren. Er war in Balve und Aachen am Sonntag dabei. Ich habe auch genug Erfahrung, aber trotzdem ist es gut, wenn man jemanden hat, der einem dann die letzte Entscheidung mit trägt. Das ist so ein wenig das I-Tüpfelchen.“

Sicher hilft dem „Heißsporn“ Stevens auch die ruhige Art des Marco Kutscher.

„Ja, das ist so. Auch wenn Ehrgeiz natürlich gut ist, aber ich bin dann vielleicht manchmal zu ehrgeizig und will zu viel. Und Marco ist ein etwas ruhigerer Mensch und deswegen passt es auch so gut. Und natürlich weil wir sehr gut befreundet sind und uns schon ewig kennen“, lacht Mario Stevens.

Kann er gut mit Kritik umgehen? „Ja, das kann ich glaube ich sehr gut, wenn ich der Überzeugung bin, dass das Gegenüber es ehrlich meint. Und es auch wirklich besser kann. Wenn man einen Stall wie ich mit 100 Pferden und 50 Pferden unter dem Sattel hat, ist es immer gut, seine drei vier besten Pferde mal aufzuladen und woanders hinzufahren. Damit man sich wirklich nur auf diese drei vier Pferde konzentriert.“ Früher hat er auch bei Ludger Beerbaum trainiert und dort viel für sich an Erfahrung mitgenommen.

 „Bei Ludger habe ich viel über Professionalität gelernt. Ich habe bei ihm auch verstanden, dass man immer das Gute im Pferd sehen muss. Dass man mit einer positiven Einstellung gegenüber einem Pferd vielleicht auch Dinge erreichen kann, an die man vorher gar nicht geglaubt hat, weil man vielleicht dachte, dass da nicht so viel drin steckt.“

Heute ist Stevens ein wichtiger Teil eines großen Familienbetriebes. Sein Vater und Bruder haben einen Fleischzerlegebetrieb (Stevens Truthahn Delikatessen), seine Eltern führen noch eine Immobilienverwaltung, dazu kommt die Pferdezucht- und Vermarktung. „Jeder hat seinen Bereich. Wir ergänzen uns gut. Alle haben Spaß daran und daher ist es auch ein Stück weit der Erfolg“, erzählt Mario Stevens vom heimatlichen Betrieb in Mollbergen.

 „Wenn man natürlich zwei so tolle Pferde hat wie Starissa und Carrie dann ist der Fokus natürlich voll auf dem Sport. Aber das hat man auch nicht jedes Jahr. Und daher, denke ich, muss man sich breit genug aufstellen, damit man das auch alles finanzieren kann. Das ist uns die letzten Jahre ganz gut gelungen und mir macht das alles auch unheimlich viel Spaß. Ich brauche keinen Urlaub. Ich habe noch nicht einen Tag bereut, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Ich bin noch nie morgens aufgestanden und habe gedacht oh, jetzt muss ich wieder in den Stall zu den Pferden. Das ist meine Leidenschaft. Wenn ich mal den halben Tag nicht im Stall bin, ist es für mich schlimmer, als wenn ich den ganzen Tag zu Hause bin. Ich habe zum Glück eine tolle Familie, meine Frau trägt das mit. Wir fahren natürlich auch mal in den Urlaub, aber meine Familie fährt zehn Tage und ich komme dann drei Tage dazu und fahre wieder weg. Meistens fahren wir dann an die Ost- oder Nordsee.“

Der Tag beginnt für Stevens meist schon um halb sechs, wenn die zwei Kinder, neun und sieben Jahre alt, morgens am Bett stehen. Dann macht er seine Kontrollrunde im Stall. Nach dem Frühstück geht es ans Reiten. Eine Alternative dazu kam für ihn nie in Frage.  

„Ich habe lange Fußball gespielt und spät angefangen zu reiten. Das ist als Junge dann ja auch immer nicht so einfach, meine Freunde gehen zum Fußballspielen und ich in den Stall. Das ist für die Jugendlichen heute glaube ich auch immer noch nicht so einfach. Aber wenn man dann Sonntagsmorgens um 5 Uhr aufsteht, um zum A-Springen zu fahren, und wenn einem das total egal ist und das gerne macht, dann merkt man irgendwann, dass es keine Arbeit ist sondern Leidenschaft.“ Auch seine Tochter ist schon mit dem Pferde Virus infiziert. „Sie ist schon sehr interessiert, reitet ein bisschen mit dem Pony und ist jeden Tag im Stall. Mein Sohn begeistert sich total für Fußball.“ 

Das Image des Pferdesports sieht Stevens nicht in Gefahr: „Klar, sind das heute heikle Zeiten. Aber ich finde, Springreiten ist ein ganz wunderbarer Sport.  Aber ohne unsere Pferde sind wir NICHTS. Daher tun wir alles dafür, dass es den Hochleistungssportlern die sie sind, gut geht. Die werden von vorne bis hinten betütelt. Wir passen auf die Pferde besser auf, als auf uns selber. Weil das Schlimmste was passieren kann, ist, dass ein Kratzer ans Pferd kommt, es sich irgendwie verletzt. Natürlich machen wir auch nicht immer alles richtig. Wir müssen uns immer hinterfragen. Jeder muss auf den anderen ein wenig Acht geben. Am Ende glaube ich aber nicht, dass wir ein grundsätzliches Problem haben“, sagt Stevens.

Wohin die Reise mit ihm und Starissa noch geht? Natürlich träumt auch er den Traum von Olympia 2024 in Paris: „Klar, aber Pferd und Reiter müssen auch gesund bleiben. Ich mache das alles schon ziemlich lange, ich weiß, wie schnell es auch vorbei sein kann. Deswegen muss man den Moment genießen, genießen was man hat. Und auf das Pferd gut aufpassen. Deswegen plane ich auch immer diese Pausen zwischendurch ein. Versuche die Mentalität des Pferdes zu erhalten, dass es weiter Spaß am Springen hat. Und dann kann viel kommen.“