Philipp Schulze Topphoff – wie zwei Stürze das ganze Leben verändern

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Er ist der Pechvogel des Jahres; Philipp Schulze Topphoff hat eine Achterbahnfahrt der Gefühle hinter sich.  Nach dem sensationellen Sieg bei der Weltcup-Etappe in La Coruna Ende letzten Jahres und vielversprechenden Auftritten beim Weltcup-Finale in Leipzig und der Longines Global Champions Tour in Doha wurde der erfolgreiche U-25 Reiter gleich doppelt ausgebremst. Zwei folgenschwere Reitunfälle zwangen ihn zu langen Boxenstopps, statt im Sattel nahm er im Rollstuhl Platz. Wie er die schwere Zeit überstand, was die Zwangs-Entschleunigung bei ihm verändert hat und wie er sich jetzt zurück in den Spitzensport kämpft, hat er spring-reiter.de im Interview verraten.

spring-reiter.de: „Philipp, wie fühlt man sich als Pechvogel der Nation?“

Philipp Schulze Topphoff lacht:  „Tja, da habe ich wohl die A-Karte gezogen. Eigentlich ging das Jahr gar nicht mal so schlecht los mit dem Weltcup-Finale und den ersten Etappen der Global Tour in Doha und so. Aber dann ging es relativ schnell bergab.“

spring-reiter.de: „Was genau ist passiert? Nimm uns mal mit.“

„Es war ein Trainingsunfall am Ostersonntag. Wir hatten am Freitag ein Pferd neu bekommen. Und als ich am Sonntag vom Turnier nach Hause kam, dachte ich, den reitest und springst du noch ein wenig. In einer Kombination waren wir uns dann nicht so einig. Ich kam relativ normal rein, wollte mit einem weniger raus. Da bekamen wir eine Stange zwischen die Beine – und da kann sich jeder ausrechnen, was dann passiert ist. Auf jeden Fall waren das Schlüsselbein und alle drei Bänder in der Schulter hin. Dann habe ich erst einmal vier Wochen Pause machen müssen.“

Ein herber Schlag für den 24jährigen, der mit seinen Eltern und zwei Schwestern auf einem kleinen Kotten mit ein paar Pferdeboxen in Havixbeck im Herzen des Münsterlandes lebt. Vier Wochen später stieg er wieder in den Sattel, mit Sicherheitsweste.

„Ich habe versucht, das Risiko klein zu halten, bin keine jungen oder fremden Pferde geritten“, erzählt Philipp Schulze Topphoff. Und dann ging es auch zügig wieder zu großen Turnieren.

„Ich habe in Hamburg bei der Global Tour wieder angefangen. Da bin ich auch gleich die beiden Team-Prüfungen geritten. Und den großen Preis hinterher. Das war echt gut und wir sind in der folgenden Woche weiter nach St. Gallen gefahren zum Nationenpreis. Auch da war es noch ganz gut. Zwei Turniere weiter war es dann wieder so weit“, erinnert sich Philipp.

Der nächste folgenschwere Unfall.

„Das war in Stockholm bei der Global Tour. Das ging Freitag es erst mal gut los. Beide Pferde sind gut gesprungen und waren platziert. Samstag lief es eigentlich auch, es gab mal hier und da einen Fehler, aber nichts Gravierendes. Und dann wollte ich Sonntag mit dem Zweitpferd noch zwei Runden reiten. Aber gleich in der ersten Runde passierte es. Carla fing eigentlich gut an, ich hatte ein sehr gutes Gefühl. Aber an Sprung drei war sie durch irgendetwas irritiert, keine Ahnung. Ich könnte auch sagen: Scheiß-Distanz, selber schuld. Aber ich weiß es nicht. Ich habe mir das Video hundertmal angeguckt, ich kann es nicht erklären. Sie fing jedenfalls am Oxer an zu laufen. Ich kam aus dem Gleichgewicht. Natürlich wollte ich nicht auf die Schulter fallen, die sowieso schon im Eimer ist. Ich bin dann eigentlich sicher auf den Beinen gelandet, das war total unspektakulär. Dachte ich.“

spring-reiter.de: „Du hast also nicht registriert, dass gerade etwas Schlimmes passiert ist?“

„Nein. Ich habe erst einmal gedacht, geht gleich wieder. Aber ich hatte ziemliche Schmerzen und der Kreislauf war auch nicht der allerstabilste. Das hatte ich bei der ersten Verletzung mit der Schulter auch schon. Da hatte ich auch viel zu wenig Puls und eine Temperatur von 34 Grad. Und beim zweiten Unfall war das dann genauso. Alle machten sich Sorgen um die Schulter, aber ich sagte, die hat nichts abgekriegt. Aber das Bein… Ich konnte den Fuß nicht aufsetzen. Das Ende vom Lied war dann, dass ich in Stockholm ins Krankenhaus musste. Der Mittelfuß war vier- oder fünfmal gebrochen, das Sprungbein gebrochen und der Schienbeinkopf kaputt.“

spring-reiter.de: „Was hast Du in dem Moment gedacht?“

„Ich dachte nur, das kann nicht wahr sein. Ich wollte ja vier, sechs Wochen danach nach Aachen. Das ist ja für jeden das große Ziel. Nachdem es im Vorjahr so gut lief, wollte ich da natürlich unbedingt wieder hin. Aber es war mir schnell klar, dass das nichts wird. Die haben mir dann so eine L-Schiene gemacht, die Sache stabilisiert. Dann habe ich mich in den LKW gelegt und bin zwei Tage mit nach Hause gefahren.“

Philipp Schulze Topphoff, der nebenbei noch in einer Zahnarztpraxis arbeitet und davon träumt, irgendwann Zahnmedizin zu studieren, musste also wieder ins Krankenhaus.

„Die Leute aus der Klinik kannte ich ja leider noch ganz gut. Da habe ich dann angerufen und sie haben alles vorbereitet und Bilder gemacht. Der Fuß war vier-, fünfmal gebrochen. Mit dem Knie musste ich ins CT. Je mehr Bilder sie machten, desto schlechter wurden die Nachrichten,  der Schienbeinkopf war im Eimer. Die Ärzte haben dann beides operiert. Jetzt habe ich überall Schrauben drin“, erzählt die aktuelle Nummer 240 der FEI Weltrangliste.

spring-reiter.de: „Du erzählst das heute alles mit einem Lachen. Warst Du nicht total geschockt?“

Philipp Schulze Topphoff: „Doch. Das war eine Katastrophe. Ich habe schon nach dem ersten Unfall, als sie sagten, gebrochen und Bänder gerissen, gedacht, die ganze Saison ist im Arsch. Da war ich noch fast mehr mitgenommen, glaube ich.“

Nach der OP bekam Philipp Schulze Topphoff Krücken.

„Das war angesichts der geschädigten Schulter auch nur ein eingeschränktes Vergnügen.  Ich habe dann für acht Wochen so einen Oma-Schopper gekriegt. Dann durfte ich anfangen, den Boden mal so zu streicheln. Die reden dann immer von Kilo. Zehn Kilo belasten, 20 Kilo belasten. Wieviel das ist, weiß kein Mensch. Bis ich wieder reiten konnte, vergingen fast drei Monate.“

spring-reiter.de: „Wie bist Du mit deinem Schicksal umgegangen, konntest du das einfach so wegstecken?“

Philipp Schulze Topphoff: „Das ging erstaunlicherweise. Ich wusste, ich kann das jetzt nicht ändern. Ich bin auch gefragt worden, ob ich zu Hause mal durchdrehe, weil ich auf Turnier ganz ruhig gewirkt haben muss.  Ich habe mich nicht wirklich damit abgefunden, aber was soll ich machen? Soll ich jetzt durchdrehen, rumschreien, irgendwas tun? Ich glaube, ich bin relativ ausgeglichen.“

Einige seiner Pferde hatten dann ebenfalls eine Auszeit auf der Koppel, andere wurden von seiner Schwester oder dem Vater übernommen.

Bis es zurück in den Sattel ging.

spring-reiter.de: „Wie war das Gefühl, als Du nach so langer Zeit wieder angefangen hast?

Philipp Schulze Topphoff: „Ich habe mich schon undynamisch gefühlt. Man kommt nicht gut hoch, man kommt noch schlechter wieder runter. Statt von oben runter zu springen, versucht man, langsam runter zu rutschen wie so ein alter Sack. Es ist wie von vorne anfangen. Muskelkater wie verrückt. Die Routine ist hundertprozentig weg. Dann bin ich kleine Sprünge oder Reihe gesprungen, und manchmal musste ich sie fünfmal anreiten. Ich bin eher defensiv an die Sache herangegangen.“

spring-reiter: „Ist die Angst vor einem weiteren Sturz jetzt im Kopf?“

Philipp Schulze Topphoff: „Nee, eigentlich nicht. Am Anfang war das wohl ein bisschen so.  Gerade bei Kombinationen, wobei der zweite Unfall ja gar nichts damit zu tun hatte. Aber als ich das erste Mal woanders springen war, so ein bisschen turniermäßig, habe ich gefühlt zur Kombination immer drei mehr gemacht als nötig, damit ich bloß nicht wieder einen weniger raus reite… Das war irgendwie im Kopf geblieben und ging dann auch wieder weg. Heute reite ich wieder ganz normal los.“

Das hat er auch einer guten Reha mit Kraft- und Ausdauertraining in Münster zu verdanken, „die haben mich richtig gequält“.  Schmerzen hat er kaum noch: „Ich muss ja keinen Marathon laufen und Treppensteigen ist auch noch ein bisschen schwierig.  Aber es geht alles.“

Beim Agravis Cup in Oldenburg Ende Oktober meldete sich Schulze Topphoff erfolgreich auf der Turnierbühne zurück, bevor er anschließend beim Weltcup in Stuttgart an den Start ging.

 spring-reiter.de :  „Was hast Du aus den Schicksalsschlägen gelernt?“

„Man sollte erst einmal mit dem zufrieden sein, was man hat. Wenn einem die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung macht, lernt man, alles mehr zu schätzen. Ich habe mir auch viel Zeit zu Hause genommen. Ich war ja krankgeschrieben und habe langsam mit zwei, drei Pferden am Tag wieder angefangen. Das war natürlich toll. Da habe ich ewig draufgesessen mit vielen Schrittpausen. An einem halben Tag mal schnell auf alle Pferde drauf, das ist nicht mehr mein Ding. Heute hole ich mir die Pferde selber raus, mache alles in Ruhe.  Wenn ich jetzt fünf Stunden für drei Pferde brauche, dann ist das eben so. Man hat ein anderes Verhältnis zum Pferd, als wenn man alles so zackzack macht. Das macht so viel mehr Freude. Und wenn einem das Wetter keinen Strich durch die Rechnung macht, gehe ich erst einmal eine halbe Stunde in den Busch, um dann langsam anzufangen.“      

spring-reiter.de: „Die Unfälle haben Deine Einstellung zum Partner Pferd und zum Sport verändert?“

Philipp Schulze Topphoff:  „Absolut. Meine Zeit mit den Pferden beschränkt sich nicht nur auf die Arbeitsphase, es geht auch um das Ganze, das Drumherum. Ich habe sie vorher zu Hause auch immer selbst fertiggemacht, aber manchmal lief es auch nach dem Motto:  alles draufschmeißen, draufsetzen und los. Heute gehe ich auch einfach mal nur mit den Pferden grasen, verbringe mehr Zeit mit Ihnen. Das hat sich auf jeden Fall verändert.“

spring-reiter.de: „Du hast nach den Unfällen aber nie ans Aufhören gedacht?“

Philipp Schulze Topphoff: „Keine Chance. Man könnte ja meinen, durch so ein Verletzungspech wird man ein bisschen geheilt und legt den Fokus erstmal auf etwas Anderes. Aber als sie mir im Krankenhaus sagten, die Zeit geht vorbei und das ist alles reparabel, da habe ich es ganz gut ausgehalten. Das Reiten habe ich trotzdem vermisst wie verrückt. Ich freue mich jetzt jeden Tag, wenn ich zum Turnier fahren kann. Für das Turnier in Stuttgart habe ich schon eine Woche vorher angefangen, den LKW zu packen.“

spring-reiter.de: „Aber das Zahnmedizin-Studium ist noch nicht abgehakt?“

Philipp Schulze Topphoff: „Nee. Aber ob ich dann mit 30 noch anfange, weiß ich auch nicht.“  Zeit ist knapp, auch bei Philipp Schulze Topphoff und auch mit Freundin Johanna Beckmann. „Ich habe meinen Job, die Pferde und noch eine Freundin – da wird es eng. Und die wohnt dann auch noch 100 Kilometer entfernt, da muss man für die Fahrt schon 1 Stunde 20 investieren.“

Die nächsten Ziele sollen im Parcours verwirklicht werden.

Philipp Schulze Topphoff:  „Im Dezember darf ich in Genf bei der U25 Tour an den Start gehen. Ein weiteres Ziel ist Aachen im nächsten Jahr.  Keine Ahnung, ob ich die Global Tour noch mal mitmachen darf. Ich bin zum Glück noch U25 nächstes Jahr. Und es stehen viele Nationenpreise im Kalender. Da würde ich mich freuen, wenn ich hier und da zum Einsatz komme.“

Rein statistisch gesehen hat der Philipp Schulze Topphoff sein Pech-Soll ja auch erfüllt.