„Die Euro hat definitiv einen Tag zu früh begonnen“, lachte Otto Becker nach der zweiten Runde bei den Europameisterschaften der Springreiter in Mailand. Der Bundestrainer hatte gut lachen, nach einer enormen Leistungssteigerung, einer fulminanten Aufholjagd und ein wenig Pech bei der bis dahin führenden Konkurrenz hat sich Team Deutschland vor dem Finale am Freitag (13.30 Uhr) die Pole-Postion gesichert. Auch Einzel-Medaillen sind in deutscher Reichweite: Drei deutsche Reiter Weishaupt (2), Kukuk (9) und Wargers (11) sind unter den Top-11 in der Einzelwertung.
Mit 9.31 Strafpunkten liegt das Team von Otto Becker in Führung und hat damit die Mannschaft der Schweden mit 9.51 Strafpunkten überholt. Platz drei hält die Schweiz mit 9.92 Strafpunkten auf dem Konto. Die Top-Drei sind also extrem dicht beieinander. Auch die Iren mit zehn Strafpunkten auf Platz vier sind noch gut im Rennen um die Medaillen. Während bei der Konkurrenz aus Schweden und der Schweiz der Fehlerteufel an überraschenden Stellen zuschlug, lieferte Team Germany heute u.a. zwei Null-Runden von Philipp Weishaupt und Jana Wargers ab.
Der Tag hatte schon super begonnen. Christian Kukuk und Mumbai zeigten sich in Top-Form und blieben als Einzelreiter in ihrer zweiten Runde ohne Abwurf. Mit Platz neun ist Kukuk nun weiterhin in Schlagdistanz um eine Medaille.
„Das hat sich super angefühlt. Gestern eigentlich auch schon. Ich hatte einen richtig ärgerlichen Fehler am letzten Sprung. Aber grundsätzlich habe ich schon das Gefühl, dass sich mein Pferd hier wohl fühlt und super gut drauf ist. Heute hat er sich fast noch etwas wohler gefühlt, er hat super mitgemacht, auch wenn ich sagen muss, dass ich, wenn ich ganz kritisch bin, zu Sprung vier nicht so gut geritten bin. Da wollte ich eigentlich einen Galoppsprung weniger reiten, auf halben Weg habe ich gemerkt, ich bin zu spät, und habe einen Galoppsprung mehr gemacht. Die Situation hat er dann super für mich geregelt. Danach hat sich alles sehr selbstverständlich, sicher fokussiert und gut angefühlt“, strahlt Kukuk nach seiner Runde im Interview mit spring-reiter.de. Nach dem knapp verpassten Podium und Platz vier bei der letzten EM in Riesenbeck 2021 hat Kukuk mit der EM noch eine Rechnung offen: „Ja, das kann man so sehen“, lacht der Reiter der Beerbaum-Stables. „Das war schon hart, vor heimischen Publikum so nah dran zu sein und dann doch nicht auf dem Treppchen zu stehen, das war schon maßlos enttäuschend. Ich habe da meine Lehren draus gezogen und ich bin jetzt hier, um es doch noch ein wenig besser zu machen“, sagt Kukuk. Der erste Schritt in Richtung Einzelmedaille ist gemacht. Auch wenn Kukuk weiß, dass es noch ein paar Runden zu absolvieren gilt.
Marcus Ehning und Stargold gingen als Erste für Team Deutschland an den Start. Es klapperte mehrfach und nicht nur dem zuschauenden amtierenden Europameister André Thieme stockte mehrfach der Atem. Am Ende ging zum Glück ’nur‘ ein Mauerteil zu Boden. „Ein gutes Pferd muss auch richtig berühren können“, stellte Ehning nach seiner Runde trocken fest. Er war aufgrund des schon leicht beanspruchten Bodens etwas „auf Angriff“ geritten. Vielleicht eine Erklärung für den Fall eines kleinen Mauer-Teils. Marcus Ehning und Stargold stehen im Ranking derzeit auf Platz 22.
Eine weitere Ganz-Leistung zeigten Philipp Weishaupt und sein neunjähriger Zineday. Beinahe spielerisch absolvierte der Dunkelfuchs den EM-Parcours und blieb wieder ohne einen Strafpunkt. Nicht nur Philipps Frau Domenika und Sohn Jakob auf ihrem Arm strahlten vor Freude. Nach dieser weiteren Top-Runde liegt Weishaupt in der Einzelwertung nun auf Platz zwei hinter dem Schweden Jens Fredricson mit Markan Cosmopolit. Der Schwede hatte auch die zweite Prüfung in Mailand für sich entscheiden können. Platz drei hält der Schweizer Steve Guerdat mit Dynamix de Belheme vor Julien Epaillard mit Dubai du Cedre und Henrik von Eckermann und Iliana. Allesamt sind keinen Abwurf voneinander entfernt.
„Er überrascht mich tatsächlich immer und ich bin so froh, dass ich ihn reiten darf“, freute sich Philipp nach seiner Traum-Runde über seinen Sportpartner. „Jedem, der im Reitsport ist, wünsche ich mal so ein Gefühl wie auf Zineday. Heute war er wieder ziemlich abgeklärt. An ein, zwei Sprüngen war er doch etwas guckiger als gedacht. Bei der Mauer und der Planke hat er sich etwas erschrocken, weil die beide so aus der Ecke kamen. Aber der Rest hat sich super angefühlt.“ Philipp Weishaupt führt den Erfolg seines Pferdes auch auf seinen tollen Reiter und Ausbilder zurück. Zineday sei von Richard Vogel ausgebildet und in den Sport gebracht worden, der damals sein Stall-Reiter war. Später wechselte der Fuchs zu Christian Kukuk. Das Pferd habe also eine erstklassige Ausbildung von Profis genossen.
Eine super souveräne Runde ritten Jana Wargers und Limbridge. Auch dieses Paar ließ alle Stangen in den Auflagen. „Der Druck heute war natürlich groß und die Nullrunde sehr wichtig. Ich war heute total fokussiert und mein Pferd sprang einfach super“, freute sich die Springreiterin. Sie rangiert in der Einzelwertung jetzt auf Platz elf.
Gerrit Nieberg und Ben waren auch heute das Streichergebnis im deutschen Team. Drei Stangen gingen zu Boden. „Ich bin natürlich nicht zufrieden, wie die ersten beiden Tage gelaufen sind. Dennoch hatte ich heute ein wesentlich besseres Gefühl. Gerade in der ersten Hälfte vom Parcours. Ich hoffe, dass ich morgen im Finale unser Team noch ein wenig unterstützen kann“, resümierte Gerrit Nieberg.
Auch der Bundestrainer Otto Becker war mit der Leistung seiner Reiter sehr glücklich: „Mit Heute können wir echt zufrieden sein. Das lief echt gut. Das war eine super Team-Leistung und alle haben auch Gerrit unterstützt. Wir haben jetzt natürlich eine gute Ausgangsposition und hoffen, dass das morgen auch so weitergeht. Vielleicht gibt es ja noch ein Gewitter und es wird abgesagt“, scherzte der Bundestrainer in Richtung Finale.
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