Dem wachsamen Auge von Karsten Huck entgeht nichts: „Du eierst hier so rum, du musst ihn mehr rausdrücken. In der Spur bleiben“, mahnt er seinen Schüler, den Deutschen Meister der Children 2019, Mathies Rüder. Und lässt den 15jährigen die Übung mit der halben Volte aus der Ecke und dem anschließenden Sprung übers Cavaletti wiederholen. Bis es sitzt. Drei Tage lang sechs bis sieben Stunden ohne Pause stand der Springreiter und Olympia-Bronzemedaillen-Gewinner von Seoul (1988) auf dem Augustenhof in Ostholstein in der Halle, um dem reiterlichen Nachwuchs auf die Sprünge zu helfen. Am 13. November wird Huck, dem die FN 2005 den Titel des Reitmeisters verlieh, 75 Jahre alt.
Was treibt ihn an? Längst hätte sich Huck, der etliche Male als Nationenpreisreiter für Deutschland ritt, 1984 Deutscher Meister wurde und später als internationaler Trainer in Europa, den USA und China arbeitete, zur Ruhe setzen können. „Es macht mir immer noch großen Spaß zu trainieren, Talente voranzubringen, die Entwicklung zu sehen“, schwärmt der Springreiter, der selber noch immer täglich in den Sattel steigt und auf seiner Anlage in Borstel bei Neumünster ein bis zwei Pferde reitet. Kaum einer versteht so viel von Pferden und ihrer Ausbildung und kennt die Branche und ihre Zusammenhänge so gut wie er.
Eine lebende Legende, der man gerne stundenlang zuhört. Wenn Karsten Huck von seinem ersten Olympia-Besuch 1956 als zehnjähriger Zuschauer erzählt. Als er mit seinem Vater in einem alten VW aus Flensburg Richtung Stockholm zu den Olympischen Spielen fuhr, und sie den legendären Gold-Ritt von Hans Günter Winkler und Halla beinahe wegen einer gebrochen Achse verpasst hätten. Zum Glück nur beinahe.
Oder wenn er sich an die erste Begegnung mit seinem Olympia-Pferd Nepomuk erinnert. „Liebe auf den ersten Blick war es nicht“, gesteht Huck, der damals gerade seinen Job als Junioren-Bundestrainer aufgegeben hatte und nach einer neuen Herausforderung suchte. Erst nach einem zweiten Probereiten entschloss er sich, den bis dahin noch sehr unerfahrenen zehnjährigen bayrischen Wallach mit einer gehörigen Portion Vollblutanteil auf einem Turnier in Weilheim bei Stuttgart auszuprobieren. „Da haben wir gleich das erste S gewonnen und am Sonntag den Großen Preis“, erinnert sich Huck, der mindestens so überrascht war, wie seine staunenden Reiter-Kollegen. „Der Nepomuk war damals mehr Steifftier als Gummiball“, lacht sein Reiter heute. Er entschied sich trotzdem zum Kauf. Allein konnte sich der gelernte Banker und studierte Betriebswirt den Kracher in spe nicht leisten und so stieg nach einigem Hin und Her das DOKR mit ein. Hauptbefürworter war der damalige Bundestrainer Herbert Meyer, „aber was er da genau plante, wusste ich nicht“.
Es folgte ein Sieg nach dem anderen mit Nepomuk, u.a. im Olympia-Qualifikationsspringen in Balve. Plötzlich war das Paar als Reserve ins deutsche Aufgebot für die Olympischen-Spiele in Seoul gerückt. „Ich war selber überrascht, überlegte bei jeder noch größeren Herausforderung, na, kommen wir da noch rüber?“, erzählt Karsten Huck offen. Er selbst hat sich nie in den Vordergrund gedrängt, ist eher norddeutsch zurückhaltend.
„Als Siebter im Team wollte ich erst nicht mit in Quarantäne. Aber nach dem Ausfall von Paul Schockemöhle und Deister und Hendrik Snoek rückte ich auf Platz fünf vor und musste zum Einkleiden nach Warendorf.“ Die Reise zu Olympia in Seoul hatte er zwar schon längst gebucht, aber als Zuschauer mit seiner Frau: Als Hochzeitsreise!. Doch das Schicksal entschied anders und Huck fand sich im Team mit Ludger Beerbaum, Wolfgang Brinkmann, Dirk Hafemeister und Franke Sloothaak wieder.
Hucks große Stunde schlug, nachdem das Quartett Mannschafts-Gold gewonnen hatte und er im Einzel starten durfte. Trotz eines Abwurfs gewann der Holsteiner mit Nepomuk Bronze. Zwei Jahre später, bei den Weltreiterspielen in Stockholm, trug das Paar zur deutschen Silbermedaille bei. Noch heute strahlen seine Augen, wenn er von diesen Sternstunden erzählt.
Seitdem hat sich im Reitsport viel verändert. „In meiner Jugend sind wir vielleicht vier bis fünf Turniere im Jahr geritten“, so Huck, der sich lange mit Schulpferden zufriedengeben musste. Heute reisen die internationalen Springreiter von Shanghai bis LA. Und er nennt als Beispiel seinen ehemaligen Schüler Philip Houston. „Er war 13 Jahre alt, als ich anfing, ihn zu trainieren. Am Ende ist er bei der Longines Global Champions Tour mitgeritten. Und das tut er bis heute“, erzählt Karsten Huck und gesteht, dass er die Global Champions Tour für eine geniale Idee von Jan Tops hält. Mit seiner derzeitigen Schülerin, der Junioren-Reiterin Hanna Schreder, ist er vor allem national sehr erfolgreich unterwegs. Damit das funktioniert, ist die Siebzehnjährige aus dem Bayerischen Wald zu ihm und seiner Frau gezogen und macht dort ihr Abitur nach.
Wie lange er noch reiten und trainieren will, wird der Meister des feinen Reitens oft gefragt: “Solange ich mich fit fühle und meinen Schülern noch was vormachen kann”, lacht Huck. Er kann sich noch immer begeistern, für tolle Pferde und aufstrebende Reiter wie Mathies Rüder. Das wird nie langweilig. Auch nicht mit 75 Jahren.