„Die Möglichkeit, dass Träume wahr werden können, macht das Leben erst interessant“, schrieb einst Paulo Coelho. Simone Blum und ihre Stute DSP Alice haben ihn wahr gemacht, ihren Traum. Nach einem kometenhaften Aufstieg in den internationalen Top-Springsport stiegen die heute 34jährige und ihre Fuchs-Stute mit der Vorliebe für Mangos 2018 in den Olymp auf und gewannen überraschend und sensationell die Weltmeisterschaften in Tryon. Eine Geschichte wie aus einem Märchen – eine Story um eine außergewöhnliche Freundschaft die Millionen Menschen berührte und auch abseits des Springsports die Massen begeisterte. Beim CHIO Aachen wird die im bayerischen Zolling beheimatete Springreiterin ihre 15jährige Ausnahmestute nun feierlich aus dem Sport verabschieden.
spring-reiter.de hat mit Simone Blum über die Beweggründe zum Ende einer großen Sport-Karriere gesprochen, über ihre unglaubliche Reise mit Alice, ihren neuen Superstar und große Träume.
Mit welchen Gefühlen siehst du der Verabschiedung von Alice in Aachen entgegen?
Simone Blum: „Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Auf der einen Seite freue ich mich, dass das in Aachen geschieht und dass sie dort noch einmal von dem Publikum gefeiert wird, wie es ihr gebührt. Auch weil es sicher schwer sein wird, in Deutschland noch mal so ein Pferd zu haben und zu finden. Sie war etwas absolut Besonderes. Auf der anderen Seite ist es natürlich traurig, sie aus dem Sport zu verabschieden. Aber ich habe mich, glaube ich, lange genug darauf vorbereiten können. Es ist natürlich alles sehr, sehr emotional. Wir haben ein Video zur Verabschiedung geschnitten. Denen, den ich das Video schon gezeigt habe, die sind in Tränen ausgebrochen. Wenn man das Video noch mal anschaut, wird einem noch mal wieder sehr bewusst, was dieses Pferd geleistet hat.“
Was hat am Ende den Ausschlag gegeben Alice jetzt 15jährig aus dem Sport zu verabschieden?
Simone Blum: „Anfang des Jahres bin ich Alice noch auf Turnieren geritten, das hat ihr auch super viel Spaß gemacht. Aber ich habe am Sprung das Gefühl, dass es nicht mehr 100 Prozent sind. Dass irgendetwas sie daran hindert, in den Top-Sport zurück zu kommen. Wenn ich sie zu Hause dressurmäßig reite, fühlt sie sich unglaublich toll an. Ich reite sie jeden Tag, sie ist ganz normal im Training und geht ganz toll. Aber am Sprung ist einfach irgendetwas, was mir sagt, dass es der große Sport nicht mehr ist. Sie hat vielleicht Angst, dass der Schmerz in der Wirbelsäule wiederkommt. Irgendetwas ist da. Vielleicht ist sie während der Corona-Zeit in der Box ausgerutscht. Wir wissen es einfach nicht. Ihre Verabschiedung wollte ich jetzt auch nicht noch ein weiteres Jahr hinauszögern. Und das Aachen-Team hat mich bei der Planung auch super gut unterstützt, daher machen wir das jetzt so recht kurzfristig.“
Der Stern von Simone Blum und ihrer Alice ging 2017 auf, als das Paar die Deutsche Meisterschaft in der Herrenkonkurrenz in Balve gewann. Danach reiste Blum, die Biologie und Chemie auf Lehramt studiert hat, mit Alice als Ersatzpaar mit zu den Europameisterschaften nach Göteborg. Schon dort sorgten die beiden mit dem Sieg im Großen Preis für Furore. Es folgten etliche Schleifen und Siege wie bei den Stuttgart German Masters. 2018 gehörten Blum und Alice zum siegreichen Nationenpreis-Team in Aachen, bevor sie für die Weltreiterspiele in Tryon/USA nominiert wurde. Dort folgte der große Triumph.
Ein Weg, der kein leichter war – Genie und Wahnsinn lagen bei der Askari-Tochter immer dicht beieinander, bestätigt die Reiterin.
Simone Blum: „Aber irgendwie kann ich wohl damit umgehen, obwohl ich eigentlich nicht der geduldigste Mensch bin. Alice hat mich oft an den Rand der Verzweiflung gebracht. Sie hat so viel Energie, die ist kaum zu bändigen. Stundenlang habe ich auf ihr gesessen und versucht, sie herunter zu kühlen. Hansi hat an der Partnerschaft von Alice und mir einen großen Anteil, weil er es immer wieder geschafft hat, uns beide herunterzufahren. Damit wir uns zusammenraufen. Er hat sich auch immer wieder draufgesetzt, weil ich sie manchmal verwünscht hatte. Sie war wirklich schwierig. Die hätte auch fünf Stunden galoppieren können und wäre nicht müde gewesen. Und Hansi hat sie zwar nicht gesprungen, sondern ist sie nur dressurmäßig geritten, aber er hat sich einfach von ihr nie ärgern lassen. Du musst es halt schaffen, dass diese Energie für Dich arbeitet. Und das hat sie dann auch irgendwann in Perfektion gemacht. Dieses Pferd hat immer abgeliefert. Es gab kaum einen Grand Prix, wo das Pferd nicht gut war.“
Wie sieht die weitere Lebensplanung für die Weltmeisterstute Alice aus?
Simone Blum: „Jetzt hoffe ich natürlich, dass sie irgendetwas von ihrer Genialität an ihre Nachkommen weitergibt. Natürlich muss man erst einmal schauen, welcher Vater da passt. Wir haben es jetzt mal mit Dominator und Chacco-Blue versucht. Da schauen wir mal, was dabei rauskommt. Letztes Jahr sind leider zwei Stut-Fohlen von ihr gestorben. Das hat mich sehr traurig gemacht. Es war mein Herzenswunsch eine Stute aus Alice zu bekommen. Letztes Jahr war der Wurm drin, wir haben alle Fohlen verloren. Dieses Jahr ist es besser. Aber Alice hat letztes Jahr nicht aufgenommen. Dieses Jahr sieht es, glaube ich, etwas besser aus, weil sie irgendwie angekommen ist, super gerne auf die Koppel geht und ihre Freunde begrüßt. Ich hoffe, dass es dieses Jahr klappt mit dem Aufnehmen. Wir machen Embryo-Transfer, bis wir ein paar Nachkommen haben und wissen, wie sie sich vererbt. Dann soll sie irgendwann auch ein eigenes Fohlen bekommen.“
Wie sieht der Tag von Alice aus? Steht die Stute mit anderen Pferden zusammen auf der Koppel?
Simone Blum schmunzelt: „Im Moment steht sie noch alleine auf der Weide. Sie ist nicht das sozialste Pferd, da leidet der Partner sehr, und wir wollen natürlich auch kein Risiko eingehen. Sie steht neben der Pony-Stute von Hanna, die mag sie sehr.“
Ihr habt mit eurem Sieg bei den Weltmeisterschaften 2018 in Tryon Geschichte geschrieben – mit eurer besonderen Partnerschaft viel für den Springsport getan – Menschen begeistert, die vorher keine Berührung mit diesem Sport hatten – was war Euer Erfolgsgeheimnis?
Simone Blum: „Das war sicher die besondere Partnerschaft von mir und Alice, wir beide als Team. Wir haben uns einfach sehr gut gekannt und konnten uns immer zu 100 Prozent aufeinander verlassen. Die Einstellung und der Kampfgeist von Alice waren einmalig. Auch wenn sie sehr speziell und sehr schwierig war. Ich musste mich schon sehr auf sie einstellen. Meine Reiterei hat, glaube ich, perfekt zu ihr gepasst. Der Wahnsinn bei ihr war, dass, weil sie so viel springen konnte und nie vor irgendeiner Höhe Angst hatte, man einfach immer den nächsten Step gehen konnte. Sie war immer sofort da, als hätte sie das schon immer gemacht. Sie hat mir so viel Vertrauen gegeben, dass wir das schaffen können. Immer wieder über diese Höhen, Große Preise und Championate zu reiten.“
Simone Blum hält einen Moment inne: „Das Lustige ist, genau das Gefühl habe ich jetzt auch mit Ciara.“
Ciara PS (v. Conthargos) ist ihre erst neunjährige Nachwuchshoffnung. Mit ihr hat Simone Blum bei den Deutschen Meisterschaften über vier schwere Runden bei den Deutschen Meisterschaften am letzten Sonntag einen tollen sechsten Platz belegt, war in dieser Saison in Großen Preisen von München und Hagen vorne platziert und siegreich in Gorla Minore.
„Dieses Pferd hat so einen Willen. Sie zeigt mir immer, sie kann eigentlich alles und wir kommen da drüber. Chiara kommt mit dieser Einstellung doch sehr nahe an Alice heran“, freut sich Simone Blum.
Auch wenn Alice immer das „Once in a lifetime horse“ von Simone Blum bleiben wird. Und sie hautnah erlebt hat, wie schnell sich Dinge ändern können.
Simone Blum: „Deswegen lebe ich im Hier und Jetzt. Ich bin dankbar, Ciara zu haben, genieße, was sie jetzt gerade mitmacht, und den Weg, den wir gehen. Wir fangen ja auch gerade erst an. Sie ist ja erst Neun. Man weiß nicht, wo es am Ende hinführt. Das wusste ich bei Alice auch nie, und das war vielleicht auch das Schöne und das Gute.“
Wie seid ihr Beiden – Ciara und Du – zusammengekommen?
Simone Blum lacht: „Die hat auch wieder Hansi gefunden – sechsjährig. Er hat sie selbst ausprobiert und dann hat er mir gesagt, Simone das ist ein absolutes Welt-Pferd, schon sechsjährig. Sie war aber auch schwierig, eine totale Maschine. Ich habe mich lange Zeit nicht so ganz wohl gefühlt, weil wir nicht das richtige Gebiss hatten und sie unheimlich wild war. Sie ist gar nicht zu viel gegangen, der Sprung, das war nie das Problem, sie hat vor wenig Angst, aber wir mussten andere Dinge regeln.“
Etliche Angebote hat sie für die junge Stute schon erhalten. Doch Ciara ist absolut unverkäuflich. So wie auch Alice immer unverkäuflich war uns ist.
Simone Blum: „Ohne Alice wären wir nicht da, wo wir heute sind. Und das wissen wir auch zu schätzen. Daher kam ein Verkauf nie in Frage und das ist auch bei Ciara so.“
Denn Simone hat noch etwas vor….
„Mein Traum ist es, noch mal hoch in den Top-Sport zu kommen, noch einmal ein Championat für Deutschland zu reiten. Ciara zeigt mir einfach, dass es mit ihr möglich wäre. Deswegen ist es auch mein Traum, den würde ich ganz gerne auch durchziehen und dafür brauche ich sie. Auch Olympia ist noch ein Traum.“
Auch wenn Simone Blum natürlich weiß, dass diesen Traum im Moment viele ihrer deutschen Springreiter-Kollegen träumen.
Simone Blum: „Im Moment ist die Dichte sehr groß in Deutschland. Als ich mit Alice wie Phönix aus der Asche gekommen bin, war das etwas anders. Da waren deutlich weniger starke Paare da, deswegen ist es zurzeit nicht leicht in Deutschland, ins Team zu kommen. Obwohl das eigentlich auch schön ist, weil man sich wieder komplett von unten hocharbeiten und am Schluss mit Leistung überzeugen muss. Das ist auch gut so.“
Sie wird jetzt gucken, wo sie auf 4* oder 5*-Niveau starten kann. Um mit Ciara weiter wertvolle Erfahrung zu sammeln. In Prag haben sie den Nationenpreis im Blick. Was danach kommt, wird sich zeigen – Träume können eben doch wahr werden. Das hat Simone Blum schon erlebt.
Alice wird am Donnerstag, den 29. Juni, zwischen den beiden Nationenpreis-Umläufen feierlich in der Aachener Soers verabschiedet.
Text & Interview: Corinna Philipps