Lange schien es so, als ob die Europameisterschaft in Riesenbeck eine nahtlose Fortsetzung der Olympischen Spiele in Tokio würde: Ein Schwede auf Platz eins! Erst führte eine gefühlte Ewigkeit in diesem Zeitspringen Douglas Lindelöw mit Casquo Blue (v. Chacco-Blue) das Feld der 65 Starter an, dann löste ihn Landsmann Peder Fredricson mit Catch Me Not (v. Cardento) ab – und dann kam David Will. Bevor er als Vorletzter diese erste Qualifikation fürs Einzel und für die Mannschaftswertung in Angriff nahm, zeigte er in aller Ruhe seinem C-Vier (v. Cardento) zwei Klippen in dem 1,50 m-Parcours: die bunte Stadtansicht auf der Mauer und das Wasser. Erst dann wurde der Gang reingeschoben, die Jagd auf die beiden führenden Schweden begann. Denn David Will hatte ja schon vorab gesagt, das Dabeisein nicht alles sein könne.
Nach 71,66 Sekunden galoppierte der Schlussreiter des deutschen Teams unter dem Jubel des Publikums fehlerfrei über die Ziellinie, fast eine Sekunde schneller als Peder Fredricson. Das war und blieb der Sieg für David Will in dieser ersten Runde auf dem Weg zum Europameister-Titel – und damit die Pole Position für alles, was kommt.
David Will war nach seinem Sieg natürlich total happy: “Ich wollte gar nicht unbedingt schneller sein als Peder. Ich habe es auch nicht wirklich darauf angelegt, zu gewinnen. Ich wollte einfach nur eine gute Runde drehen, damit ich eine gute Ausgangsposition für alles weitere habe. Zu gewinnen ist natürlich immer ein großes Plus”, freute sich der Sieger im Anschluss. Großes Lob hatte David Will aber vor allem für sein Pferd C Vier: “Er ist super drauf und hat alles richtig gemacht. Er hat nicht einen Sprung berührt. C Vier gebührt die Ehre”, resümierte David Will und freute sich über das gute Abschneiden bei seinem ersten Championat. Auch im Team, so Will, “sei noch alles möglich”.
Die Entscheidung, David Will und den 13-ährigen C-Vier an die letzte Startposition im Team zu setzen, erklärte Bundestrainer Otto Becker so: „Das Pferd hat alle Möglichkeiten, aber es ist auch ein spezielles Pferd, das Ruhe haben muss. David sagte auch, ihm hilft es, wenn er weiter hinten startet. Dann weiß er genau, wie der Parcours zu reiten ist. Deswegen haben wir uns so entschieden. Und das hat er mehr als souverän gelöst.“
Als ein ziemlicher Gegner im Parcours entpuppte sich die farbenfrohe Mauer nach dem Wassergraben. “Die war tatsächlich ziemlich bunt, da hat auch mein Pferd geguckt”, erzählte Peder Fredricson nach seinem Ritt. Luciana Diniz etwa musste vor der Mauer mit ihrem Conchento PS (v. Contargos) ein Volte drehen. Olivier Philippaerts und Le Blue Diamond v’t Ruytershof (v. Plot Blue) sprangen einfach durch die Mauer durch und auch Steve Guerdat kam mit Albführen’s Maddox an den Planken in leichte Wohnungsnot.
Für das Team Deutschland bedeutete die Superrunde des Schlussreiters, dass man auf Platz zwei hinter den dominierenden Schweden und vor der Schweiz in die nächste Runde gehen kann. Startreiter André Thieme war auf seiner DSP Chakaria (v. Chap) bis zum vorletzten Sprung fehlerfrei geblieben. Aber dann rollte doch eine Stange aus der Auflage. Dank einer schnellen Runde bedeutete dies in der Wertung des Zeitspringens immerhin noch Rang 17 in der Einzelwertung. Zu seinen ersten Ritt bei einer EM sagte Thieme: „Es war fast richtig gut. Die Strategie war, schnell zu reiten, und das ist mir gelungen. Daran hat es also nicht gelegen. Dann ist auch der Fehler nicht so wahnsinnig gravierend. Damit werde ich noch nicht zu weit durchgereicht. Das ist also noch ein brauchbares Ergebnis.“ Dennoch war der Mecklenburger nicht gänzlich zufrieden: „Schade, es hätte natürlich richtig gut sein können ohne den Fehler. Aber ich hatte heute den Auftrag, Risiko zu gehen, ich habe ja auch ein schnelles Pferd. Richtig sicher, woher der Fehler kam, sind wir uns noch nicht.“
Zweitbester Deutscher war der zweite deutsche Starter: Christian Kukuk legte mit Mumbai (v. Diamant de Semilly) eine schnelle und sehr souveräne Nullrunde bei seinem Heimspiel auf dem Riesenbecker Rasen hin. Am Ende des Tages bedeutete dies in der Einzelwertung einen vorzüglichen zehnten Platz, unmittelbar vor dem dritten Schweden, Rolf-Göran Bengtsson mit Ermindo W (v. Singapore). Kukuk freute sich dann auch hinterher über die Top-Leistung von Mumbai: “Er war super an den Hilfen und hat alles richtig gemacht, besser ging es nicht.”
Viel Pech hatte Marcus Ehning, der für Maurice Tebbel ins Team gerutscht war, weil dessen Don Diarado unter einem Hufgeschwür leidet: Seinem erst zehnjährigen Stargold (v. Stakkato Gold) merkte man trotz des meisterlichen Reiters an, dass dieser Auftritt für ihn eine noch ungewohnte Herausforderung war. So beeindruckt war, dass er sogar weitgehend das muntere Buckeln zwischen den Hindernissen fast vergaß. Zwei Stangen rollten auf der Schlußlinieherab, das Paar wurde für die Mannschaft diesmal das Streichergebnis, das es glücklicherweise bei der EM im Gegensatz zu Olympia wieder gibt. „Ich habe mir deutlich mehr erwartet“, sagte Ehning nach seiner Runde mit zwei Abwürfen. „Ich habe Maurice heute nicht würdig vertreten. Nach den ersten beiden Runden musste schon einiges riskieren und war auch auf gutem Wege. Den ersten Fehler kann ich mir nicht erklären. Am letzten Oxer war ich zu dicht, das geht auf meine Kappe. Die Zeit wäre gut gewesen, aber leider waren es zwei Fehler zu viel.“
Und Bundestrainer Otto Becker resümierte: „Es liegt alles nah zusammen. Aber erstmal sind wir im Spitzenfeld dabei. Das war das Ziel. Grundsätzlich bin ich zufrieden mit dem ersten Tag. Wir hatten zwei Nuller, die brauchen wir auch. Die Jungs sind gut geritten. Der Fehler von André am Anfang war sehr schade. Chakaria ist super gesprungen. Christian hat mit dem jungen Pferd eine super Runde geritten, ist im Parcours auch aufs Pferd eingegangen und hat die richtigen Entscheidungen getroffen, das war eine souveräne Runde. Bei Marcus war es schade, dass er am Schluss die zwei Fehler hatte. Das kann passieren. Und David hat eine sensationelle Runde geritten. Dass das Pferd alle Möglichkeiten hat und unheimlich grundschnell ist, das wussten wir, aber das war wirklich vom Allerfeinsten. Kompliment, beim ersten Championat so eine Runde zu reiten.”
Turnierpräsident Ludger Beerbaum freute sich nach der ersten Prüfung über den deutschen Sieg und auch darüber, dass der Druck so langsam nachläßt. Eine EM mit derart perfekten Bedingungen in der Kürze der Zeit auf die Beine zu stellen, war eine Herkules-Aufgabe. “Ich bin jetzt schon etwas erleichtert, dass alles so gut läuft.”
Das komplette Ergebnis der ersten EM-Quali hier
Der komplette Zwischenstand in der Mannschaftswertung hier