Mit Rolex Inside hat der zweifache Olympiasieger, Welt- und Europameister Lars Nieberg, der seit 2013 Hendrik Snoeks Gestüt Berl leitet, über das Züchten von Pferden gesprochen
Was ist Ihre früheste Erinnerung ans Reiten?
Meine Eltern haben einen Ferienreiterhof in Hannover besessen, so bin ich mit Pferden groß geworden. Ich habe dann überall mal reingeschnuppert, ein bisschen Vielseitigkeit, ein bisschen Springreiten und Dressur. Pferde haben schon immer mein Leben und das meiner Familie bestimmt.
Wie sind Sie auf den Zuchtaspekt dieses Sports gekommen? Waren Sie schon immer daran interessiert?
Ich war vierzehn, als ich mit dem Züchten angefangen habe. Ich hatte eine talentierte Stute namens Pistazie mit einem sehr guten Stammbaum. Nachdem sie sich auf der Weide verletzt hatte, habe ich beschlossen, mit ihr zu züchten. Viele Pferde, mit denen ich heute züchte, stammen aus ihrer Linie ab.
Was ist Ihr wichtigstes Ziel als Züchter?
Ich finde, beim Züchten sollte sich die Qualität der Pferde verbessern und damit der Sport weiterentwickeln. Aber ich finde es ebenso wichtig, ein gesundes Pferd zu züchten. Für mich sind das die wichtigsten Elemente der Zucht. Wenn man ein Pferd mit viel Potenzial hat, das aber nicht gesund ist, ist das sehr schade. Ein gesundes Pferd mit nicht ganz so viel Potenzial zu haben, ist andererseits absolut in Ordnung, denn es gibt immer Menschen, die Wettkämpfe auf niedrigerem Niveau reiten möchten. Das Züchten ist heutzutage so auf den Sport fokussiert, dass wir nur selten ein Pferd dabeihaben, das nicht für die 1,30–1,45-m-Springen geeignet ist. Ich versuche immer, die bestmögliche Kombination aus Stute und Hengst zu finden. Heutzutage sind so viele Hengste in der Zucht, da fällt die Wahl schwer. Aber das ist einer der wichtigsten Aspekte, wenn man ein gutes Pferd züchten möchte.
Worauf sind Sie als Züchter in Ihrer Karriere besonders stolz?
Ich habe schon so viele Pferde gezüchtet, dass es mir schwerfällt, nur eins davon zu nennen. Es ist immer toll, einen Hengst zu züchten, der später gekört wird, aber wir hatten auch schon viele Pferde, die sehr erfolgreich auf internationalem Niveau waren und in der ganzen Welt angetreten sind. Mein größter Traum wäre es, ein Championatsspferd zu züchten und – um den Traum noch weiter zu spinnen – dass Gerrit es reiten würde.
Wurden Sie von Ihren Zuchtergebnissen auch hier und da mal überrascht?
Ich glaube, dass die Mutterstute unglaublich wichtig ist, und wenn ich ehrlich bin, will ich nicht mit einer Stute züchten, die ich nicht für gut genug halte. Ich züchte schon seit über 40 Jahren und hatte das große Glück, viele der Stuten und Hengste, die ich in der Zucht einsetze, auch selbst zu reiten, deshalb weiß ich, welche Pferde gut zueinander passen würden. So bin ich von den Ergebnissen auch noch nie wirklich überrascht worden.
Wie lange behalten Sie ein Fohlen, bevor es an den neuen Besitzer geht oder Sie mit der Ausbildung anfangen?
Tatsächlich verkaufen wir keins der Fohlen. Wir verkaufen sie frühestens gegen Ende ihres zweiten Lebensjahres oder wenn sie drei Jahre alt sind. In diesem Alter machen wir ein bisschen Freispringen mit Ihnen, um ihr Talent einschätzen zu können, und lassen Sie außerdem komplett tierärztlich durchchecken, inklusive Röntgenbildern. Dann entscheiden wir, welche Stuten in die Zucht gehen, damit sie ein Fohlen bekommen, bevor wir richtig mit ihrer Ausbildung anfangen. Wir arbeiten allerdings schon ein bisschen mit diesen Stuten, bevor sie ihre Fohlen bekommen, damit sie wenigstens eine Grundausbildung haben. Sobald diese Stuten ihre Fohlen hatten, gehen Sie etwa im Alter von vier Jahren zurück in den Sportstall.
Wie viele Pferde züchten Sie pro Jahr?
In den letzten fünf Jahren haben wir zwischen 20 und 30 Fohlen pro Jahr gezüchtet.
Erzählen Sie uns etwas über Gut Berl. Es sieht nach einem echten Familienbetrieb aus.
Gut Berl ist ein großes Anwesen. Es gibt zwei Ställe auf dem Gelände – einen für die Sportpferde, der andere ist unser Zuchtstall. Der Stall, in dem die Pferde untergebracht sind, mit denen wir arbeiten, hat 60 Boxen, und der Zuchtstall hat zwei große Trakte, in denen wir die Jährlinge, die Zuchtstuten und die Fohlen halten. Wir haben ungefähr 80 Hektar Land, also jede Menge Platz, damit die Pferde auf die Weide können und viel Auslauf haben.
Wir haben einen hervorragenden Tierarzt, der unsere Zuchtpferde betreut. Er arbeitet schon seit über 20 Jahren mit Gut Berl zusammen und stammt aus der Gegend. Ich glaube, er kennt wahrscheinlich die Mutter, Großmutter und sogar die Urgroßmutter der Fohlen, die wir im Augenblick haben. Wir vertrauen ihm blind und er ist ein enger Freund der Familie. Wir arbeiten in allen Aspekten des Zuchtprogramms sehr eng mit ihm zusammen.
Dann haben wir zwei Mitarbeiter, die sich um die Stuten und Fohlen im Zuchtstall kümmern. Und im Sportstall, wo 60 Pferde stehen, haben wir mehrere Mitarbeiter. Ich glaube, wir haben vier oder fünf Bereiter, einige Turnierreiter, Pfleger und einen Stallmanager. Und die Familie ist auch sehr involviert. Es ist ein großes Team und wir sind wie eine Familie.
Auf welches Ihrer Nachwuchspferde freuen Sie sich am meisten?
Wir haben eine ganze Reihe sehr junger Pferde, von denen ich mir im Alter zwischen fünf und acht Jahren sehr viel verspreche. Aber jetzt müssen sie erst einmal ihr Talent unter Beweis stellen und wir müssen sehen, wie gut sie tatsächlich sein können. Wir haben einen sehr guten Neunjährigen namens Amigo 1841. Gerrit reitet ihn derzeit und hat ihn auch beim CHIO Aachen geritten. Wir setzen viel Vertrauen und Hoffnung in dieses Pferd. Es ist im Augenblick schwer, sich für nur ein Pferd zu entscheiden – aber es ist immer so aufregend zuzusehen, wie sie heranwachsen und sich entwickeln. Leider müssen wir auch einige Pferde verkaufen und es ist nicht leicht, die guten Pferde zu verkaufen, die wir gern behalten würden!
Sie müssen sehr stolz auf Gerrit und Ben 431 sein, nachdem sie beim diesjährigen CHIO Aachen den Rolex Grand Prix gewonnen haben.
Ich bin unglaublich stolz auf sie. Damit ist wirklich ein Traum in Erfüllung gegangen. Die Saison war schon sehr erfolgreich, aber einen Rolex Grand Prix bei einem Major des Rolex Grand Slam of Show Jumping zu gewinnen, ist immer etwas ganz Besonderes und etwas, das nicht vielen Reitern gelingt. Ich glaube, wir werden immer wieder Gänsehaut bekommen, wenn wir an diesen Tag zurückdenken.
Am Anfang war das größte Problem mit Ben 431, ihn unter Kontrolle zu bringen und sicherzustellen, dass er sich auf seinen Reiter konzentriert. Wir wollten seinen Eifer und seine Liebe zu seiner Aufgabe fördern, aber wir mussten auch dafür sorgen, dass er mit Gerrit zusammenarbeitet. Dadurch haben sich Gerrit und Ben 431 eine starke Grundlage erarbeitet, auf die sich ihre Erfolge stützen.
Welchen positiven Beitrag leistet der Rolex Grand Slam Ihrer Meinung nach für den Springsport?
Der Rolex Grand Slam of Show Jumping ist etwas so Einzigartiges, weil er vier Turniere mit so großer Tradition vereint. Ein Sieg bei diesen vier Veranstaltungen war schon vor der Entstehung des Rolex Grand Slam of Show Jumping immer eine große Sache. Das Preisgeld ist phänomenal und die Turniere sind so bedeutsam für das Springreiten. Jeder erinnert sich daran, wer in jedem Jahr beim CHIO Aachen gewonnen hat – meiner Meinung nach haben die Majors inzwischen beinahe Meisterschaftsstatus erreicht.
Welches der vier Majors des Rolex Grand Slam of Show Jumping gefällt Ihnen am besten und warum?
Ich bin Deutscher, also muss ich hier sagen, der CHIO Aachen. Für mich ist es das größte und beste der vier Majors und jetzt natürlich noch viel besonderer, nachdem Gerrit dort gewonnen hat. Aber wenn Sie einen Kanadier fragen, wird er natürlich sagen, das CSIO Spruce Meadows ‘Masters’.
Das nächste Ziel für Gerrit und Ben 431 ist das CSIO Spruce Meadows ‘Masters’. Die beiden hatten bisher eine ganz großartige Saison und es wäre fantastisch, wenn sie sich auch in Calgary in Topform präsentieren können. Ben 431 hat ein paar entspannte Wochen seit dem CHIO Aachen genossen. Er ist viel im Wald geritten worden und auf den Koppeln gewesen – Pferde sind keine Roboter und es ist enorm wichtig, dafür zu sorgen, dass sie zufrieden sind und Spaß an ihrer Arbeit haben. Letzte Woche ist er ein paar kleinere Prüfungen gesprungen und jetzt bereiten wir ihn für das nächste Major vor.
Wer hat Sie im Laufe Ihrer Karriere am meisten inspiriert?
Herbert Meyer, der von 1985 bis zu den Olympischen Spielen 2000 in Sidney der deutsche Chef d’Equipe war. Mein erster Job als Reiter war in seinem Stall, da war ich glaube ich 16 oder 17. Dort habe ich alle Grundlagen gelernt und noch so viel mehr! Er war der Mensch, den ich immer um Rat fragen konnte, und jemand, zu dem ich stets aufgesehen habe. Auch andere großartige Reiter haben mich inspiriert. Ich achte immer darauf, die Augen offen zu halten und den Besten genau zuzusehen. Man kann immer noch dazulernen und besser werden.
Wie lautet der beste Ratschlag, den Sie jemals erhalten haben?
Der beste Ratschlag, den ich je erhalten habe, ist der: Wenn man an etwas glaubt, besonders an ein Pferd, muss man an diesem Glauben festhalten und mit dem Pferd zusammenarbeiten, auch wenn es mal schwierig wird. Denn wenn man wirklich an ein Pferd glaubt, wird man irgendwann mit ihm erfolgreich sein und die gewünschten Ergebnisse erzielen.