Interview mit André Thieme vor dem Rolex Grand Slam: “Ich bin ziemlich sicher, dass Chakaria mich auch mag”
In Aachen schon Spruce Meadows im Blick: André Thieme und DSP Chakaria Foto: spring-reiter.de

Interview mit André Thieme vor dem Rolex Grand Slam: “Ich bin ziemlich sicher, dass Chakaria mich auch mag”

posted in: Allgemein | 0

Vor dem Start in Spruce Meadows hat der Rolex Grand Slam Titelanwärter André Thieme im Interview über seine Freude nach dem Sieg in Aachen, über reiterliche Vorbilder und vor allem über seine DSP Chakaria gesprochen.

Sie sind nach Ihrem sensationellen Sieg beim CHIO Aachen der Anwärter auf den Rolex Grand Slam of Show Jumping. Wie fühlen Sie sich?

Ich hatte gar nicht viel Zeit zum Feiern, denn zu dem Zeitpunkt lag mein Fokus noch darauf, in die deutsche Olympia-Equipe aufgenommen zu werden. Aber natürlich fühlte sich der Sieg unbeschreiblich an, und mir wurde klar, dass ich schon Olympiasieger werden müsste, um diesen Erfolg zu übertreffen! Den Rolex Grand Prix beim CHIO Aachen zu gewinnen, war für mich das perfekte Märchen – ein Lebenstraum ist in Erfüllung gegangen.

Wenn Sie an Ihren Sieg des Rolex Grand Prix beim CHIO Aachen zurückdenken, was war das Besondere an diesem Sieg für Sie und Ihr Team?

Es war ein ganz besonderes Erlebnis. Als ich in der Nationenpreis-Prüfung beim CHIO Aachen zwei Abwürfe hatte, war mein gesamtes Team unendlich enttäuscht, weil wir wussten, dass das wahrscheinlich das Ende meiner Hoffnung auf Olympia bedeuten würde. Doch als ich am Sonntag dann den Rolex Grand Prix gewonnen hatte, wendete sich das Blatt und wir alle waren einfach nur außer uns vor Freude. Das ganze Team sagte immer wieder: „Dieser Sieg ist sogar noch besser als die Teilnahme bei den Olympischen Spielen!”

Können Sie uns mehr über DSP Chakaria erzählen? Warum ist sie so besonders und wie ist sie charakterlich?

Im Stall würde man DSP Chakaria nie ansehen, dass sie ein Superstar ist. Sie ist das ruhigste, gelassenste und entspannteste Pferd, das ich kenne. Menschen gegenüber ist sie ein wenig schüchtern, sie ist gerne allein und könnte den ganzen Tag in ihrem Stall schlafen. Sobald man ihr jedoch einen Sattel auflegt und mit ihr galoppiert und springt, lebt sie auf. Es ist, als ob man einen riesigen Motor einschaltet! DSP Chakaria verwandelt sich von einem lieben, braven Pferd zu einem echten Temperamentswunder.

Beim Reiten entwickelt sie eine ungeheure Kraft und Energie, wodurch sie manchmal recht knackig sein kann. Sie war nicht immer leicht zu reiten – zuweilen war es wirklich schwierig, durchgängig die Anlehnung zu halten und mein Bein dran zu haben. In den letzten fünf Jahren haben wir daran gearbeitet, dass sie beim Springen ruhig und entspannt bleibt. Sie hat so viel Kraft und ist so explosiv, dass es manchmal schwer war, eine flüssig aussehende Runde hinzulegen. In den letzten zwei Jahren haben wir große Fortschritte in der Dressur gemacht, und ich hatte mit ihr unglaubliche Erfolge: gemeinsam haben wir den Rolex Grand Prix beim CSIO Roma Piazza Di Siena gewonnen, den Einzeltitel bei der FEI Europameisterschaft und weitere große Fünf-Sterne-Grands Prix auf der ganzen Welt.

Mit DSP Chakaria lief es immer schon hervorragend, aber dieses Jahr ist alles irgendwie noch ein bisschen harmonischer geworden. Der Sieg des Rolex Grand Prix beim CHIO Aachen ist für Reiter ein unvergessliches Erlebnis – vergleichbar mit dem Gewinn einer Einzelmedaille bei einer internationalen Meisterschaft. Ich weiß also, was das bedeutet und ich weiß auch, dass jeder Springreiter der Welt diese Springen gewinnen möchte. Mit Chakaria ist das gelungen. Sie ist wirklich ein ganz besonderes Pferd.

Ich glaube, der Grund, warum sie so außergewöhnlich ist, liegt darin, dass sie einfach das Komplettpaket darstellt. Ich hatte auch vorher schon vorsichtige Pferde mit viel Sprungvermögen, aber Chakaria bringt nicht nur diese Eigenschaften mit, sondern ist dazu noch schnell, wendig und kraftvoll. Und eine ihrer größten Stärken, die sie zu einem absoluten Championatspferd macht, ist ihre Ausdauer. Auch nach fünf Wettkampftagen ist sie noch voll da und frisch – je mehr sie springt, desto besser wird sie. Beim CHIO Aachen war der Rolex Grand Prix die vierte, fünfte und sechste Runde, die sie gesprungen ist. Sie wird umso besser, je mehr sie springt. Chakaria lässt tatsächlich nichts zu wünschen übrig, sie hat keine echten Schwächen und ist wirklich einfach außergewöhnlich.

Wie wichtig sind die Beziehung und die Bindung zwischen Pferd und Reiter, um einen Major beim Rolex Grand Slam of Show Jumping zu gewinnen?

Ich bin fest davon überzeugt und habe es auch immer wieder betont, dass Reiter im Springsport nur dann Großes erreichen können, wenn sie eine sehr gute Beziehung zu ihrem Pferd haben – Vertrauen ist das A und O. Dein Pferd muss für dich kämpfen wollen. Ich liebe DSP Chakaria – wobei natürlich die großen Siege auch eine Rolle spielen – aber von Anfang an war da zwischen uns etwas ganz Besonderes. Als sie noch jünger war, musste ich aufpassen, nicht zu schnell zu viel zu verlangen, da sie am Anfang unserer Partnerschaft ein bisschen schwierig war. Wir mussten zusammenwachsen und das, glaube ich, macht viel aus. Ich bin ziemlich sicher, dass sie mich auch mag!

Der CPKC ‚International‘ Grand Prix, presented by Rolex, wird oft als einer der schwierigsten Parcours der Welt bezeichnet. Wie haben Sie sich und Ihr Pferd darauf vorbereitet?

Ich werde mit DSP Chakaria anreisen, bin mir aber nicht sicher, ob ich mit ihr beim CPKC ‚International‘ Grand Prix, presented by Rolex antreten werde. Ich habe mehrfach am CSIO Spruce Meadows ‘Masters’ teilgenommen und weiß, dass selbst die besten Championatspferde dort nicht immer ihre beste Leistung zeigen, weil der traditionelle Stil der Hindernisse mit den langen Stangen und Distanzen nicht allen Pferden liegt. Spruce Meadows ist etwas ganz Besonderes, aber selbst Spitzenpferde wie etwa King Edward [geritten von Henrik von Eckermann] springen dort in der Arena nicht unbedingt so gut wie man es von ihnen gewohnt ist. Daher bin ich noch etwas unentschlossen, welches Pferd ich im Grand Prix reiten werde. Obwohl, da sie so mutig ist, gut vorwärts geht und gerne auf Gras springt, denke ich, dass sie das schon machen wird. Ich werde auf jeden Fall mit großen Hoffnungen dort hin fahren.

Wer war in Ihrer Karriere Ihre größte Inspiration und warum?

Als kleiner Junge habe ich immer zu Reitern wie Ludger Beerbaum aufgeschaut und jetzt reite ich mit Reitern wie Christian Ahlmann, Marcus Ehning, Daniel Deusser und Steve Guerdat. Und immer noch versuche ich, von ihnen zu lernen. Ich versuche, meinen Job mit offenen Augen zu machen und mir von jedem guten Reiter, von denen es viele gibt, etwas abzuschauen. Gleichzeitig glaube ich aber, dass sich jeder auch unbedingt auf seine eigenen Stärken besinnen und mit seiner eigenen Strategie reiten sollte. Ich kann keinen bestimmten Reiter herauspicken, der meine größte Inspiration war, aber ich habe mich von verschiedenen Reitern inspirieren lassen und das tue ich immer noch. Die Hauptsache ist, dass ich immer noch versuche zu lernen und mich weiterzuentwickeln.

Wie wichtig ist Ihr weiteres Team, z. B. Pfleger, Tierärzte usw. für Ihren Erfolg?

Das fängt bei mir zuhause mit meiner Familie an. Sie macht viel mit mir durch, da ich so viel an Turnieren teilnehme und um Plätze in Mannschaften für große Championate kämpfe. Durch die Teilnahme an Meisterschaften lastet eine neue Art von Druck auf mir und die mentalen Auswirkungen sind einfach anders. Meine Familie unterstützt mich in solchen Zeiten, wenn ich mich vielleicht anders verhalte oder gestresster bin als sonst. Sie ist immer für mich da und lässt mir meine Freiheiten – sie ist mein wichtigster Anker.

Natürlich sind auch die Pfleger, die Reiter zu Hause, die Manager und alle anderen Leute, die um mich herum sind, sehr wichtig. Sie planen alles und ermöglichen es mir so, in Ruhe auf Turniere zu fahren und mich auf meine Pferde zu konzentrieren, ohne dass ich mir Gedanken machen muss, was zu Hause los ist. Unser Sport erfordert ein großes Team. Wenn wir einen großen Sieg erringen, feiern wir alle gemeinsam. Auch die Pferde sind entscheidend. Ohne ein gutes Pferd kann man keine großen Erfolge erzielen.

Einen Trainer hatte ich selbst auch noch nie, abgesehen von meinem Vater, als ich jünger war. Deshalb ist ein Sieg in einem Springen wie dem Rolex Grand Prix beim CHIO Aachen wirklich ein Erfolg für mich und mein ganzes Team.

Welchen Einfluss hat der Rolex Grand Slam of Show Jumping Ihrer Meinung nach auf den Sport, und wie wichtig sind Ihrer Meinung nach Majors im Sport, wie der CHIO Aachen oder die Wimbledon Championships?

Es ist sehr schwer, den Rolex Grand Slam im Springreiten zu gewinnen – bisher ist das nur Scott Brash im Jahr 2015 gelungen. Heutzutage ist es sogar noch anspruchsvoller, da es so viele verschiedene Reiter und Pferde gibt, die ein Major gewinnen könnten. Ich bin mir nicht sicher, ob es jemals wieder jemand schaffen wird. Aber die Chance, den Rolex Grand Slam of Show Jumping zu gewinnen, ist wirklich besonders. Dabei geht es nicht nur um das hohe Preisgeld, sondern der Titel, den Rolex Grand Slam of Show Jumping oder ein Major zu gewinnen, ist etwas einzigartiges – fast wie eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen! Bei den Grand Slams im Tennis ist es ähnlich: Jeder möchte gewinnen, aber die meisten kommen nicht einmal in die Nähe des Sieges. Nur die besten Athleten schaffen das und schreiben Geschichte in ihrem Sport. Um ein Major zu gewinnen, muss man der Beste der Besten sein – und das wird man nicht nur durch Glück.

Welchen Beruf hätten Sie, wenn Sie kein Springreiter wären?

Ich weiß nicht, was ich geworden wäre, wenn ich nicht Springreiter wäre, aber es wäre etwas gewesen, das mit Sport zu tun hat. Als ich jünger war, war ich ein sehr guter Fußballspieler und habe davon geträumt, einmal Profi zu werden. Ich bin einfach ein Sportfan – neben dem Fußball schaue und spiele ich Tennis. Mein Sohn spielt Handball, weshalb ich mich auch dafür interessiere. Ich verbringe ja auch viel Zeit in den USA, wo ich mir viel NBA und Basketball anschaue.