“Wenn Vertrauen da ist, hat man alles, was man braucht.” Interview mit Olympia-Sieger Christian Kukuk
Dritte im Rolex GP in Genf 2023: Christian Kukuk und Checker. Foto: spring-reiter.de

“Wenn Vertrauen da ist, hat man alles, was man braucht.” Interview mit Olympia-Sieger Christian Kukuk

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Vor dem nächsten Major, dem CHI de Genève im Dezember, hat Inside Rolex Grand Slam ein Interview mit Christian Kukuk über Vertrauen, wichtige Aspekte beim Training, seine Leidenschaft für Fußball und nächste Ziele geführt.

Sie und Ihr Team hatten ja wirklich ein ganz unglaubliches Jahr! Können Sie uns erläutern, wie wichtig Ihr Team für Ihre Erfolge ist?

Ein tolles Team hinter sich zu haben, ist entscheidend, wenn man als Reiter Erfolg haben will. Das Springreiten ist mit so viel Arbeit verbunden – die Versorgung der Pferde, das Reisen, das Training –, dass man unbedingt zuverlässige Menschen um sich haben muss. Ohne ein starkes Team, das einen unterstützt, wäre es unglaublich schwierig, Bestleistungen zu erbringen.

Sie haben ganz eindeutig eine unfassbar enge Beziehung zu Checker 47. Können Sie uns erzählen, was ihn zu etwas so Besonderem macht und wie wichtig es gewesen ist, eine Partnerschaft mit ihm einzugehen?

Er ist ein ganz besonderes Pferd für mich. Ich habe ihn jetzt seit vier Jahren und wir haben uns eine Partnerschaft erarbeitet, die einfach wie für das Finale bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris gemacht zu sein schien. Der Parcours war nicht einfach nur für einen erfahrenen Reiter oder ein erfahrenes Pferd ausgelegt, sondern für ein erfahrenes Pferd-Reiter-Paar. Man musste sein Pferd in- und auswendig kennen und dasselbe musste auch andersherum gelten. Das machte diesen Parcours so ideal für Partnerschaften wie Checker 47 und mich, Beauville Z und Maikel [van der Vleuten] und Dynamix de Belheme und Steve [Guerdat]. Wir sind alle erfahrene Pferd-Reiter-Teams. 

In den letzten vier Jahren sind Checker 47 und ich richtig zusammengewachsen und haben einige großartige Ergebnisse erzielt. Letztes Jahr haben wir das Finale beim FEI Jumping Nations Cup™ in Barcelona gewonnen, dann den Grand Prix in Riad und den dritten Platz im Rolex Grand Prix beim CHI Genf. Dieses Jahr haben wir den Rolex Grand Prix beim Winter Equestrian Festival 2024 in Wellington und den Grand Prix in Madrid gewonnen. Anfang des Jahres bekam ich das Gefühl, dass alles, was wir uns in den vergangenen drei Jahren erarbeitet haben, langsam zusammenfindet. Bei jedem Grand Prix, an dem wir teilgenommen haben, kam es mir so vor, als wüsste er genau, wozu er fähig ist, und als wüsste er auch, wozu ich fähig bin, und dass er mir vertraut. Dieses Vertrauen ist der Grundstein einer großartigen Beziehung zwischen Pferd und Reiter. Wenn Vertrauen da ist, hat man alles, was man braucht.

Was ist der wichtigste Aspekt beim Training, wenn man ein Pferd auf das Niveau bringen möchte, an den Majors des Rolex Grand Slam of Show Jumping teilnehmen zu können?

Das ist eine ausgezeichnete Frage. Da gibt es viele Aspekte zu berücksichtigen. Man konzentriert sich in unterschiedlichen Phasen auf unterschiedliche Dinge, zum Beispiel ist es manchmal wichtiger, den Schwerpunkt auf die körperlichen Fähigkeiten seines Pferdes zu legen, manchmal steht eher seine mentale Verfassung im Vordergrund und manchmal arbeitet man einfach daran, das Pferd besser kennenzulernen. Letztendlich ist es jedoch am wichtigsten sicherzustellen, dass das Pferd einem folgt. Man kann an den körperlichen Aspekten arbeiten, so viel man will – an den hohen Sprüngen oder an ganzen Parcours –, aber was am Ende wirklich zählt ist, dass das Pferd dem Reiter vertraut und seinem System und Reitstil folgt. Wenn das Pferd nicht auf deiner Seite ist, kannst du keinen Erfolg im Springreiten haben.

Der physische Aspekt des Trainings ist zwar wesentlich, aber es ist genauso wichtig zu verstehen, wie das Pferd denkt und was es braucht. Man muss wissen, wann es etwas mehr Hilfe braucht oder wann man Druck rausnehmen und leichtere Sachen wie Geländeritte oder Longiertraining machen sollte. Ein Gespür für diese Ausgewogenheit zwischen den mentalen und physischen Aspekten seines Pferdes zu haben, macht einen großartigen Reiter aus.

Obwohl Sie aus einer Reiterfamilie stammen, haben Sie erst ziemlich spät mit dem Reiten angefangen. Was hat Sie letztendlich dazu bewogen?

Ich war aufgrund meiner Familie schon mein Leben lang mit Pferden zusammen. Als ich noch klein war, hat mich meine Familie immer mit in den Stall genommen, weil sie mich nicht allein zu Hause lassen wollte. Ich hatte immer einen Fußball dabei und habe entweder mit irgendjemandem gespielt oder allein ein bisschen gekickt. Irgendwann hatte mein Vater mal eine Zeit lang keinen Pfleger, der an den Wochenenden mit ihm zu Turnieren fahren konnte, und so hat er mich gefragt, ob ich ihm helfen würde. Wenn ich kein Fußballspiel hatte, bin ich mitgefahren, um ihm zu helfen und ihm beim Aufwärmen und dann im Wettkampf zuzusehen. Je mehr ich zugesehen habe, desto mehr wuchs im Laufe der Zeit mein Interesse an diesem Sport. Ich fing an, seine Runden zu analysieren und zu überlegen, was er gut gemacht hatte und was er hätte anders machen können. Schließlich kam ich zu dem Punkt, an dem ich es selbst mal versuchen wollte. So hat alles angefangen, wobei ich allerdings schnell gemerkt habe, dass es nicht so leicht war, wie es aussah!

Der CHI Genf findet in der größten Reitsport-Hallenarena der Welt statt und hat mit das leidenschaftlichste Publikum. Was für ein Gefühl ist es, dort anzutreten?

Der CHI Genf ist eins der besten Hallenturniere der Welt und eine ganz besondere Veranstaltung. Jedes Major des Rolex Grand Slam of Show Jumping ist einzigartig und Genf hat eine ganz eigene Atmosphäre. Die große Arena mit dem Hügel in der Mitte und dem Doppelgraben beim Rolex Grand Prix vermittelt einem das Gefühl, als wäre man draußen im Freien, das ist einzigartig. Aber das Beste am CHI Genf ist die Atmosphäre. Das Publikum dort ist einfach unglaublich. Man spürt richtig, dass es hinter einem steht, und wenn man eine fehlerfreie Runde schafft und die Zuschauer vor Begeisterung ausrasten, ist das ein ganz unbeschreibliches Gefühl. Das sind diese emotionalen Momente, die wir Reiter so lieben. Außerdem findet dort auch das spannende Rolex IJRC Top 10 Finale statt, was den CHI Genf zu einer der aufregendsten Springreitveranstaltungen des Jahres macht.

Letztes Jahr haben Sie beim CHI Genf den dritten Platz im Rolex Grand Prix geholt. Können Sie uns verraten, was Ihnen dieses Ergebnis bedeutet hat?

Das hat mir damals wirklich viel bedeutet. Zwei Jahre davor war ich mit Checker 47 schon mal dort beim Rolex Grand Prix angetreten und es ist gar nicht gut für uns gelaufen. Ich hatte das Gefühl, dass unsere Partnerschaft noch nicht reif genug für dieses Niveau war. Aber letztes Jahr bin ich mit einem deutlich besseren Bauchgefühl angereist. Das Turnier fing gut an und ich bin sehr zuversichtlich in den Rolex Grand Prix gestartet. Der dritte Platz hat mich sehr stolz und glücklich gemacht. In dem Moment habe ich erkannt, dass Checker 47 für die großen Meisterschaften bereit war. So kurz vor den Olympischen Spielen hat mich dieses Rolex Grand Prix-Ergebnis davon überzeugt, dass er wirklich so weit war, und so habe ich beschlossen, dass wir sein Jahr um die Olympischen Spiele 2024 in Paris herum planen sollten.

Was haben Sie beim letztjährigen Rolex Grand Prix beim CHI Genf gelernt, das Ihnen dieses Jahr weiterhelfen könnte?

Ich habe gelernt, dass die Majors des Rolex Grand Slam of Show Jumping den höchsten Standard in unserem Sport festsetzen. Sowohl man selbst als auch sein Pferd muss auf jede nur mögliche Situation im Parcours vorbereitet sein. Ich habe immer darauf gehofft, mal im Rolex IJRC Top 10 Finale dabei zu sein, und nach meinem dritten Platz im Rolex Grand Prix beim CHI Genf letztes Jahr wusste ich, dass ein ganz besonderes Jahr vor mir liegt. Ich habe unglaublich hart gearbeitet und gleichzeitig dafür gesorgt, dass ich ein starkes Kontingent an Pferden habe, damit ich am Rolex IJRC Top 10 Finale teilnehmen kann. Zusammen mit den Olympischen Spielen war das eins meiner Hauptziele. Im Augenblick sieht alles recht vielversprechend für mich aus. Es ist noch ein Monat bis dahin und ich stehe momentan auf Platz 5 der Weltrangliste, deshalb hoffe ich, dass ich einer der Reiter im Top 10 Finale beim CHI Genf sein werde. Das wäre wirklich aufregend.

Zum Rolex Grand Slam of Show Jumping gehört auch der CHIO Aachen und der dortige Rolex Grand Prix ist für viele Springreiter die ultimative Prüfung, die sie unbedingt gewinnen wollen. Als Major in Ihrem Heimatland, wie wichtig ist Ihnen diese Prüfung und die Veranstaltung insgesamt?

Der CHIO Aachen und der dortige Rolex Grand Prix sind sehr wichtig für mich – wie für jeden Reiter, aber vor allem für deutsche Reiter. Von olympischen Erfolgen und Meisterschaftsmedaillen mal abgesehen, hat jeder Reiter in seiner Karriere einen großen Traum: den Rolex Grand Prix in Aachen zu gewinnen. Das steht bei mir auf jeden Fall noch immer gedanklich im Vordergrund.

Wie passen Sie Ihre Strategien und Pläne jeweils an die vier Majors des Rolex Grand Slam of Show Jumping an?

Ich glaube, genau das macht den Rolex Grand Slam of Show Jumping so interessant. Um die Majors zu gewinnen, die den Rolex Grand Slam of Show Jumping ausmachen – The Dutch Masters, den CHIO Aachen, das CSIO Spruce Meadows `Masters`-Turnier und den CHI Genf – reicht es nicht, einfach nur in einer riesigen Grasarena mit gewaltigen Hindernissen eine großartige Leistung zu zeigen. Man muss sich auch in kleineren Arenen gut schlagen, wie in ’s-Hertogenbosch [The Dutch Masters]. Nur die allerbesten Pferde können sich an jede Arena und jede Situation anpassen. Checker 47 hat zum Beispiel in den Grands Prix sowohl beim The Dutch Masters als auch in Genf den dritten Platz belegt und ist auch in Aachen außergewöhnlich gut gesprungen. Es gibt nicht viele Pferde, die alles können. Manche Reiter haben das Glück, dass sie mehrere Pferde besitzen, von denen einige in großen Grasarenen besser sind und andere in kleineren Sandarenen, aber nur wenige können sich auf jedem Untergrund gut behaupten.

Bisher hat nur ein Pferd-Reiter-Paar je den Rolex Grand Slam of Show Jumping gewonnen: Scott Brash und Hello Sanctos. Die Tatsache, dass das in all den Jahren nur einem Paar gelungen ist beweist, was für eine unglaublich große Herausforderung es ist. Doch genau das macht es so aufregend für uns Reiter: Wir träumen alle davon, einmal in unserer Karriere den Rolex Grand Slam of Show Jumping zu gewinnen.

Welche anderen Sportarten außer dem Springreiten verfolgen Sie?

Ich mag Fußball, weil ich schon ewig großer Bayern München-Fan bin. Im Augenblick ist es besonders aufregend, Bayern-München-Fan zu sein, weil einer ihrer berühmtesten Spieler, Thomas Müller, Miteigentümer von Checker 47 ist. Wir haben eine ganz besondere Beziehung. Thomas verfolgt meine Reitsportkarriere und ich folge seiner Fußballkarriere. Fußball ist wirklich der Sport, der mich außer dem Springreiten am meisten interessiert.

Glauben Sie, dass Sie etwas von Thomas lernen oder er von Ihnen kann, das Sie beide Ihrer Meinung nach auf Ihre jeweilige Sportart übertragen können?

Ich glaube nicht, dass er von mir lernt oder ich von ihm, aber was unsere Beziehung so stark macht ist die Tatsache, dass er als Athlet die Herausforderungen eines Spitzensports versteht. Er weiß, dass man im Springreiten nicht jedes Wochenende Erfolg haben kann, genauso wie ich weiß, dass im Fußball dasselbe gilt. Es ist einfach nicht möglich, jedes Spiel zu gewinnen. Dieses gemeinsame Verständnis hilft uns, mit Enttäuschungen umzugehen. Wir haben eine sehr gefühlvolle, aber auch sehr rationale Beziehung. Wir freuen uns, wenn wir Erfolg haben, akzeptieren aber auch, dass wir nicht immer Erfolg haben können. Das liegt einfach in der Natur unserer Sportarten.

Ich finde, sowohl im Fußball als auch im Springreiten ist es wichtig, dass man weder einer Enttäuschung noch einem Erfolg zu lange nachhängt. Man muss sich immer auf das nächste Spiel oder das nächste Turnier vorbereiten. Da ich früher selbst Fußball gespielt habe, war ich schon früh vertraut mit Wettkämpfen, mit dem Druck und damit, dass man immer fokussiert und präsent bleiben muss. Im Springreiten muss man sich zwar immer nur kurz fokussieren – die 60 bis 80 Sekunden im Parcours plus 30 bis 45 Minuten beim Aufwärmen –, aber es ist entscheidend, dass man seinem Pferd gegenüber absolut präsent ist. Ich glaube, diese Lernerfahrung beim Fußball gemacht zu haben, hat mir sehr geholfen. Denn auf Spitzenniveau macht es den entscheidenden Unterschied, sich fokussieren zu können.

Welchen Rat würden Sie Nachwuchsreitern geben, die auch gerne auf dem höchsten Niveau des Sports antreten würden?

Man muss sich Zeit lassen. Eine Beziehung zwischen Reiter und Pferd entsteht nicht über Nacht. Wenn man eine Enttäuschung erlebt – und das wird man –, darf man sich davon nicht vereinnahmen lassen. Man muss versuchen, das Positive zu sehen, aus enttäuschenden Erfahrungen zu lernen und sich immer wieder bewusst machen, dass man sich Zeit lassen muss.

Quelle: Inside Rolex Gand Slam of Show Jumping