Sandra Auffarth hat die Welt um sich herum ausgeblendet. Gerade noch ritt sie ihr Top-Springpferd Quirici H auf dem vollen Abreiteplatz, umgeben von etlichen galoppierenden Springreiterkollegen, ganz fein dressurmäßig und in voller Harmonie. Nun steigt sie mitten auf dem Abreiteplatz ab und lobt ihr Pferd, streichelt und krault es minutenlang und ganz in Ruhe. Der sonst eher quirlige Fuchs genießt die Zuwendung, schnaubt ab und gibt sich tiefenentspannt. Es ist eine Szene beim Weltcup-Turnier in Stuttgart.
Harmonie mit dem Partner Pferd – Sandra Auffarth lebt das jeden Tag. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Mannschafts-Olympiasiegerin und Doppel-Weltmeisterin der Vielseitigkeit beim Hamburger Springderby schon dreimal hintereinander mit dem Stil- und Fairness-Preis ausgezeichnet wurde und den „schwersten Parcours der Welt“ jedes Mal wie ein Stilspringen aussehen ließ.
spring-reiter.de hat die 37-jährige gelernte Pferdewirtin und Sport- und Fitnesskauffrau, die in diesem Jahr vermehrt auch im Springsattel unterwegs ist und u.a. den CSI5* Großen Preis vom Falsterbo im Sommer gewinnen konnte, zum Interview getroffen. Uns hat Sandra Auffarth verraten, wie sie das Vertrauen der Pferde gewinnt, worauf sie bei der Ausbildung besonders viel Wert legt, welcher Typ ihr liegt und wie wir alle das Image des Reitsports verbessern können.
„Du hast in der Vielseitigkeit beinahe alles gewonnen, was man gewinnen kann. In diesem Jahr warst Du häufiger im Springreiter-Lager unterwegs, wechselst Du die Disziplin?“
Sandra Auffarth: „Nö, das kann man so gar nicht sagen, ich reite auch immer noch Vielseitigkeit. Aber ich hatte ja schon immer einen großen Bezug zum Springreiten. Jetzt hatte ich einfach das große Glück, ganz tolle Pferdebesitzer zu bekommen, die auch im Springen ein bisschen ambitionierter sind und Lust hatten, ein paar gute Springpferde längerfristig zu halten. Mit La Vista hatte ich ja schon einmal das Glück, dass die Besitzerin gesagt hat, „die soll dir bleiben“, und mit ihr bin ich dann ja auch sehr erfolgreich das Hamburger Derby geritten. Jetzt habe ich nochmal tolle Besitzer, die sich an Quirici H und an Comcador OLD beteiligt haben, und dann habe ich gedacht, jetzt muss ich die Chance auch nutzen und freue mich auf die neue Herausforderungen“, lacht Sandra Auffarth, die mit dem selbstgezogenen Comcador OLD in diesem Jahr Dritte bei den Deutschen Meisterschaften der Springreiterinnen in Balve wurde.
„Beim Hamburger Derby hast Du in den letzten Jahren immer vorne mitgemischt und auch in Falsterbo hat es mit Platz zwei im Nationenpreis und dem Sieg im Grand Prix ja richtig gut geklappt…“
Sandra Auffarth: „Genau. Also für mich ist es einfach spannend, etwas Neues auszuprobieren. Das Derby war für mich sehr spannend und es reizt mich einfach, jetzt mal in ein paar höheren Springprüfungen zu starten.“
spring-reiter.de: „Wie bekommst Du die beiden Disziplinen unter einen Hut?“
Sandra Auffarth: „Dieses Jahr war es tatsächlich mit den Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen der Vielseitigkeit in Paris, mit der Ausbildung meiner jungen Pferde und mit den Turnierstarts der älteren Springpferde wirklich sehr umfangreich. Da habe ich dann auch gemerkt, dass ich ein bisschen an meine Grenzen kam, und deshalb sind die jüngeren Pferde dieses Jahr teilweise ein bisschen kürzer gekommen, weil ich nicht mehr so viel Zeit hatte für Springpferdeprüfungen.“
Nur zwei Tage vor Beginn der Olympischen Spiele in Paris erwies sich Sandra Auffarths Vielseitigkeits-Star Viamant du Matz im Trainingslager in Frankreich als nicht hundertprozentig fit. Das Paar musste vorzeitig die Heimreise antreten.
„Kommt Dir im Parcours Deine vielseitige Ausbildung zu gute?“
Sandra Auffarth: „Auf jeden Fall. Reiten im Gelände aus dem höheren Tempo, das kommt mir natürlich im Parcours auch zu gute. Für mich ist es jetzt einfach total spannend, wieder zu sehen, wie alles vernetzt ist, was man aus welchen Bereichen mitnehmen und dazu lernen kann. Ich habe dieses Jahr einfach wieder unfassbar viel dazugelernt, dadurch dass ich im Springen jetzt nochmal höher gekommen bin. Mit der Reiterei ist man ja nie am Ende, sondern es geht immer weiter. Man lernt nie aus.“
„Du bildest Deine Pferde gerne selber aus. Warum ist Dir das so wichtig?
Sandra Auffarth: „Ja, das ist mein Ding. Dadurch, dass wir immer noch züchten und aus jedem Jahrgang einige Springpferde haben, bilde ich super gerne junge Pferde aus. Das ist natürlich auch sehr zeitintensiv, aber es macht mir auch einfach Spaß und umso schöner ist es dann, wenn man mit einem selbstgezogenen Pferd, wie jetzt Comcador, wirklich bis ganz oben durchreiten kann. Mit La Vista war das ja auch schon total spannend, die ist ja auch selbstgezogen, mit der dann Derby zu reiten, das war schon besonders.“
„Welche Vorteile bietet Deine eigene langfristige Ausbildung?“
Sandra Auffarth: „Jeder hat ja so seine Art zu reiten und es kommen ja auch viele mit unterschiedlichen Wegen ans Ziel. Ich glaube, wenn man die Pferde von klein auf in seiner Art und Weise reitet, dann ist man einfach auch ein eingespieltes Team und die Pferde verstehen einen einfach besser.“
„Worauf legst Du bei der Ausbildung von jungen Pferden besonders viel Wert?“
Sandra Auffarth: „Die Pferde müssen mit ganz viel Vertrauen an die größeren Aufgaben herangeführt werden. Ich mag es nicht, wenn man keine Zeit und irgendwie das Gefühl hat, man muss jetzt einen Schritt vor dem anderen machen. Ich finde es richtig schön, wenn man viel trainieren kann. Ich muss jetzt auch nicht nur immer aufs Turnier, sondern ich trainiere die Pferde unheimlich gern zuhause oder fahr auch mal zu anderen Plätzen. Dann kriegt man einen Eindruck, wie das Gefühl ist, man weiß, was geht und was vielleicht noch nicht geht. Gerade, wenn man die Pferde ausbildet und von jung an hat, dann kennt man natürlich auch genau die Stärken und Schwächen und das hilft dann später für die größeren Aufgaben. Das heißt ja nicht, dass, wenn ein Pferd eine Schwäche hat, man dann nicht oben ankommen kann, sondern wenn man zum Beispiel ein Pferd hat, das guckig am Wassergraben ist, dann muss ich das vor einem großen Turnier vielleicht nochmal mehr üben als mit einem anderen Pferd. Wenn das dann abgespeichert ist, dann weiß man, dass es losgehen kann. Und das ist am Ende so wichtig, dass die Pferde es klein lernen und dann selbstbewusst auf dem Turnier sind.“
„Welche Eigenschaften sind Dir bei Pferden wichtig? Hast Du da einen speziellen Typ, der Dir besonders liegt?“
Sandra Auffarth: „Also ich mag schon gern mutige Pferde. Ob sie am Ende über 1,60m gehen, weiß ich, wenn sie noch sehr jung sind, auch nicht, aber ob ein Pferd mutig ist, stellt man schnell fest. Wenn man z.B. einfach mal guckigere Sprünge anreitet oder die Pferde mit gewissen Situationen konfrontiert, zeigt sich schnell, ob sie eher ein bisschen ängstlicher und schüchterner sind oder ob sie mutig sind. Wenn die Pferde in Hamburg auf den großen Platz kommen und klein werden, dann sind sie erstmal sehr schüchtern, aber es gibt eben auch junge Pferde, die kommen ganz selbstbewusst in die Arena. Ich hatte in diesem Jahr eine in der Youngster Tour, die kam auf den Rasen und machte sich groß, sie fühlte sich wohl und dachte sich wahrscheinlich „wie cool ist das denn hier?“. Und das macht mir Spaß, wenn man das merkt, dass die Pferde einfach richtig drauf warten auf einen großen Platz und einem großen Parcours. So wie mit La Vista auch im Derby, da hatte ich das Gefühl sie sagt so: Endlich mal ein richtiger Parcours! Und das ist schon schön.“
„Man spürt und sieht, dass Du eine sehr enge Bindung zu Deinen Pferden hast…“
Sandra Auffarth: „Ja, das ist echt total schön, da kann ich dann alles um mich herum ausblenden. Ich finde es auch gerade auf dem Turnier total wichtig, eine enge Bindung zu haben. Am Ende ist man ein Team. Was geben denn die Pferde alles für einen und das machen die ja auch nicht nur für sich, man merkt ja schon, welche Pferde man auf seiner Seite hat und welche Pferde vielleicht auch eher distanzierter sind. So wie mein Vielseitigkeitspferd Viamant du Matz, das ist einfach ein total skeptisches Pferd von Natur aus. Und an den wirklich ranzukommen, hat wirklich Jahre gedauert, bis der richtig zutraulich wurde.“
„Wie gewinnst Du das Vertrauen Deiner Pferde?“
Sandra Auffarth lacht: „Ich verwöhne sie, gebe ihnen Leckerlis, gehe abends nochmal in die Box, einfach nur so zum Streicheln, ohne etwas zu verlangen. Es ist mir wichtig, dass die Pferde auch einfach gerne Zeit mit mir verbringen. Ich möchte, dass, wenn ich die Boxentür aufmache, die Pferde gerne zu mir kommen und nicht denken: Was will sie denn jetzt schon wieder? Das wäre ja total doof und das macht dann ja auch nicht so viel Spaß. Gerade das ist ja auch das, was einem als Reiter am meisten Freude bereitet.“
„Steve Guerdat hat in Hamburg von Dir als Reiterin geschwärmt und gesagt, an Sandra Auffarths Reiterei sollten wir uns alle ein Beispiel nehmen… Was macht so ein Kompliment mit Dir?“
Sandra Auffarth: „Das ist natürlich ein sehr großes Lob gewesen, zumal Steve Guerdat zu meinen Vorbildern gehört. Das macht dann natürlich Spaß, sowas zu hören.“
„Du hast 2014 die Leitung auf dem elterlichen Zucht und Ausbildungs-Hof in Ganderkesee übernommen. Wie sieht ein Tag im Leben der Sandra Auffarth zu Hause aus?“
Sandra Auffarth: „Also wir fangen als Team um 7 Uhr morgens an. Wir, das sind meine Pflegerin, die mich zu den Turnieren begleitet, eine Bereiterin, die auch die jungen Pferde mit anreitet, und dann habe ich eine Auszubildende und ein paar, Leute die mit dem Drumherum helfen. Wir haben einen Betrieb von ca. 70 Pferden mit Pensionspferden, davon ca. 25 eigene Pferde. Morgens steige ich direkt aufs Pferd und reite bis mittags 13 Uhr durch. Nachmittags ist dann eher gemischtes Programm, entweder muss ich noch ein bisschen reiten, Büro machen oder Unterricht geben.“
„Unterricht gibst Du auch noch? Wie viel Spaß macht Dir das?
Sandra Auffarth: „Das ist genauso wie mit den Pferden. Es macht Spaß, wenn man Reiter hat, die motiviert sind, die an sich arbeiten, die weiterkommen wollen, die ein gewisses Talent mitbringen, aber wichtiger ist mir die Einstellung, wie beim Pferd auch. Also mir macht es auch keinen Spaß, ein Pferd zu reiten, bei dem ich eigentlich das Gefühl habe, dass es gar nicht will. Dass es keinen Bock hat, sich auch ein bisschen zu quälen, ein bisschen Sport zu betreiben, sondern eigentlich möchte es lieber Schritt gehen oder durch den Wald dödeln. Das sind dann am Ende auch schöne Freizeitpferde, aber eben keine Sportler und Athleten, das kennt man ja auch aus dem humanen Bereich. Einer läuft gerne einen Marathon, weil er Bock drauf hat und weil der sich in gewisser Weise quälen will, und dann gibt es Menschen, die liegen einfach lieber auf dem Sofa. Die dann zu einem Marathon zu bewegen – puh, das ist schwierig. So vergleiche ich das immer, man muss für jedes Pferd den richtigen Bereich finden und dann macht es auch Spaß. Deswegen habe ich ja auch so gerne die, die mehr Power haben. Da ist dann der Weg manchmal etwas länger, aber die haben dann richtig Freude am Sport. Am Ende müssen die Pferde Talent, Freude und Spaß mitbringen – egal in welcher Disziplin.“
„Wie wichtig ist Dir Geduld bei der Ausbildung junger Pferde?“
Sandra Auffarth: „Geduld ist ein großer Faktor beim Reiten. Vor allem bei der Ausbildung muss man schon sehr viel Geduld haben. Manchmal hat man ein richtig talentiertes junges Pferd, da will man ja am liebsten gleich direkt mit los düsen. Aber dann muss man sich ja im Sinne der Pferde sagen, hey, das Pferd ist jetzt erst 4 oder 5, der hat alles, was er in diesem Jahr lernen muss, gelernt und der bekommt jetzt eine Pause oder geht einfach mal nur 3 Wochen ins Gelände.“
„Zeit ist Geld – auch im Reitsport – wie findest Du die richtige Balance?“
Sandra Auffarth: „Auch ich muss mein Geld damit verdienen, ich mache das ja jetzt auch nicht nur zum Spaß, denn auch wenn man Pferde züchtet, muss man Pferde vermarkten. Ich glaube aber schon, dass ich eine gute Balance gefunden habe, den Pferden trotzdem genügend Zeit zu geben. Wenn ich am Ende merke, dass das Pferd nicht den letzten Ehrgeiz, das letzte Vermögen oder was auch immer mitbringt für den großen Sport, habe ich auch viele andere Ideen für das Pferd. Sodass ich am Ende auch sagen kann „Jetzt geht der in die und die Hände und hat da ein gutes Leben.“
spring-reiter.de: „Du bist eine Vorzeigesportlerin und Botschafterin für den Reitsport – trotzdem gibt es genug Menschen, die den Pferdesport abschaffen möchten? Wie können wir alle zusammen diesen Kritikern begegnen?“
Sandra Auffarth: „Am Ende gibt es in jedem Bereich Kritiker, egal in welchem Berufszweig, egal in welcher Sportart. Wir haben natürlich eine große Verantwortung, weil wir mit einem Tier zusammenarbeiten und sind dadurch noch mehr angreifbar. Man selber kann ja nur seinen Job machen, aber am Ende ist es wichtig, dass alle auch im Hinterkopf haben, das nach außen hin zu präsentieren. Ich glaube, wir haben verdammt viele gute Reiter und Ausbilder, das könnte man viel positiver darstellen und viele tolle Geschichten erzählen. Derzeit wird vieles sehr negativ dargestellt, das ist nicht nur im Reitsport so. Wir sollten als Gesellschaft alles ein bisschen positiver angehen, das ist zumindest meine Empfindung. Und das gilt auch für den Reitsport. Am Ende müssen wir auf den Turnieren von den Richtern, über Stewards bis zu den Reitern und Pflegern – alle, die beteiligt sind, mit einem gesunden Menschenverstand an die Sache herangehen, Situationen erkennen können, was geht nicht, was geht. Manches geht nicht, entspricht aber der Regel. Manches ist total gut, entspricht aber nicht der Regel, dann muss es auch mal okay sein. Diesen Grad zu finden, davon hängt viel ab. Wir haben einen tollen Sport und das müssen wir auch gut demonstrieren.“
„Du hattest ein sehr erfolgreiches Jahr – wie sieht Deine weitere Turnierplanung aus?“
Sandra Auffarth: „Das Hamburger Derby werde ich im nächsten Jahr wohl nicht mitreiten können, weil meine Derby-Stute La Vista tragend ist von Ermitage Kalone. Darüber freue ich mich natürlich. Und dann habe ich dieses Jahr schon mehr erlebt, als ich eigentlich vorhatte. Ich glaube, ich bin jetzt erstmal ganz zufrieden, ich muss das erstmal ein bisschen sacken lassen und freue mich auf tolle junge Pferde im Stall und mit denen auch wieder ein bisschen zu wachsen.“
Text und Interview: Corinna Philipps