Steve Guerdat ist nicht nur die aktuelle Nummer 1 der Springreit-Weltrangliste, er ist auch bekannt für seine Haltung. Wir haben mit ihm über das Aachen International Jumping, aber auch die coronabedingte Pause gesprochen.
Frage: Mit welchen Gefühlen sind Sie hier nach Aachen gekommen?
Steve Guerdat: Erstmal war ich traurig, dass der CHIO Aachen nicht stattgefunden hat. Für uns Reiter ist der CHIO nicht nur das Hauptziel des Jahres, es ist auch die schönste Woche des Jahres und so war es erst einmal sehr schade, dass wir nicht kommen durften. Zum Glück haben sie nun doch noch etwas organisiert hier in Aachen. Es ist immer ein spezielles Gefühl, hierher zu kommen. So sind es recht gemischte Gefühle: Erinnerungen ans „richtige“ Aachen auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite tut es gut, uns hier wieder zu zeigen und unseren Sport ausüben zu können, auch wenn alles anders und kleiner ist.
Frage: Wie ordnen Sie den sportlichen Stellenwert des Aachen International Jumping ein?
Guerdat: Das Turnier ist sehr gut besetzt und gerade am Sonntag wird es ein sehr spannendes Springen werden. Klar, es ist nicht der Rolex Grand Prix beim CHIO, aber alle sind heiß auf den Sieg hier in Aachen – ich auch!
Frage: Wie haben Sie die Corona-Zeit, die turnierfreie Zeit erlebt?
Guerdat: Das war schon sehr besonders. Normalerweise sind wir immer unterwegs, rund um die Welt, auf einmal waren wir zuhause. Aber auch da gab es viele schöne Sachen. So konnten wir viel Zeit mit unseren Pferden verbringen, die wir sonst nicht so viel sehen und für die wir sonst kaum Zeit haben. Es war ganz anders als sonst – aber es war auch eine schöne Zeit.
Frage: Worauf haben Sie in dieser Zeit die Schwerpunkte gelegt?
Guerdat: Ich habe einfach meine Pferde weiter geritten. Ich habe einen großen Hof zuhause und auch ein bisschen Bauer gespielt. Ich habe die Zeit mit meinen Pferden genossen, gerade auch mit den jungen. So gesehen, war es doch gar nicht so viel anders als sonst – nur, dass die Woche auf einmal sieben statt drei Tage hatte.
Frage: Es ist ein Jahr ohne echte Ziele – keine Olympischen Spiele, kein CHIO Aachen, haben Sie sich auch mal in traurigen Momenten erwischt?
Guerdat: Ja, vielleicht gab es diese Momente, aber wenn man solche Gedanken hat, sollte man schnell wieder auf die Erde kommen und die Augen öffnen: Es gibt Schlimmeres als abgesagte Turniere oder verschobene Olympische Spiele. Klar ist es schade oder vielleicht auch traurig, aber es gibt so viel Schlimmeres auf der Welt und Menschen, die in einer viel schlechteren Lage sind als wir Sportler.
Frage: Wie bewerten Sie die Situation des gesamten Reitsports?
Guerdat: Es ist eine neue, eine spezielle Situation und es wird sehr viel Zeit kosten, bis die Situation wieder ist, wie sie einmal war. Dennoch glaube ich, dass jede Situation auch etwas Positives hat. Und wir alle zusammen – Reiter, Veranstalter, Sponsoren, Pferdebesitzer – können versuchen, aus der Situation das Beste zu machen und den Sport vielleicht sogar noch besser zu machen, als er vorher war.
Frage: Glauben Sie, dass sich der Sport verändern wird?
Guerdat: Ich glaube, dass sich sehr viel verändern wird. Der Sport ist ein Spiegel der normalen Welt, ganz sicher werden sich viele Dinge verändern. Es ist eine Krise, die jeden betrifft, also sollte auch jeder schauen, was man zukünftig besser machen kann.
Frage: Was könnte das für Folgen haben?
Guerdat: Wie gesagt – die Realität wird zukünftig eine andere sein, aber hoffentlich mit vielen positiven Seiten. Und positiv muss zum Beispiel nicht immer mehr Preisgeld bedeuten, sondern vielleicht auch eine gerechtere Verteilung. Das wäre schon ein großer Erfolg.
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Steve Guerdat hat in der freien Zeit auch "Bauer gespielt". Foto: Aachen International Jumping