Die Deutsche Reiterliche Vereinigung, die FN, hat eigentlich zu jedem Themengebiet der Reiterei Lehrvideos im Programm. Top-Ausbilder klären dort anhand von Beispielen, wie pferdegerechtes Training funktioniert. Nur zu einem Stichwort, das in den Richtlinien der FN wortreich be- und umschrieben wird, gibt es nichts, nicht einmal Fotos, geschweige denn Videos: Was können Reiter und Trainer tun, wenn ein Pferd „unsauber springt“, also immer wieder die Hindernisstangen abräumt, statt fehlerfrei darüber zu springen.
„Aus gutem Grund“, wie Generalsekretär Soenke Lauterbach selbst einräumt. Denn was dort zu sehen wäre, würde unweigerlich zu sehr emotionalen Diskussionen vor allem mit den vielen führen, für die Tierschutz und Hochleistungssport ohnehin ein Widerspruch darstellt.
Was man nicht in Lehrvideos zu sehen bekommt, wird in den eher im Verborgenen schlummernden Richtlinien so formuliert: „Das Touchieren bestimmter Beinpartien während des Sprunges dient dazu, dass das Pferd die Karpal- und Torsalgelenke im Sprung vermehrt beugt, also die Beine stärker anwinkelt, um einen Stangekontakt zu vermeiden.“ Dabei wird auch klargestellt, dass „Touchieren nur im Training, aber nicht bei Turnieren erlaubt“ ist.
Und weiter wird vorgeschrieben: „Die Touchierstange darf ein maximales Gewicht von 2.000 g bei 3 m Länge nicht übersteigen. Die Beschaffenheit der Stange muss rund sein, mit glatter Oberfläche aus nicht splitterndem Material. Sie darf jedoch nicht aus Metall sein.“
Aber ein paar Absätze später wird es dann sehr wolkig: „Wird die Touchierstange gehalten, darf dies nur von sehr erfahrenen, routinierten Pferdefachleuten durchgeführt werden, die über genügend Gefühl, Sensibilität und Erfahrung verfügen.“
Diese Empfehlungen sind vor rund 30 Jahren von einer Kommission formuliert worden, nachdem die Springreiterei durch die sogenannte „Barren-Affäre“ in schwere öffentliche Kritik geraten war. Etwas, was als Trainingsmethode im Hochleistungssport weit verbreitet war, wurde durch Filmaufnahmen beim Barren zum Skandal-Thema. Das zunehmende Bewusstsein für Tierschutz entfaltete erhebliche Breitenwirkung – und erwischte auch die FN unvorbereitet und auf dem falschen Fuß.
Dies soll nicht noch einmal passieren, deshalb ist die FN jetzt in die Offensive gegangen und hat eine neue Kommission eingesetzt, die sich ergebnisoffen die seither geltenden Regeln zum jetzt feiner genannten Touchieren im Training auf den Prüfstand stellt. Dabei soll es nicht nur darum gehen zu prüfen, ob nicht die wolkige Formulierung darüber, wer befugt ist, beim Touchieren zu agieren, durch präzise Befähigungsnachweise zu ersetzen ist. Ergebnisoffen heißt auch, dass angesichts des weiter veränderten Tierschutz-Klimas in der Gesellschaft das Touchieren ganz verboten werden soll.
Genau dies hat jedenfalls Thies Kaspareit, der FN-Ausbildungsleiter, definitiv nicht ausschließen wollen, der sich heute gemeinsam mit FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach in einer Pressekonferenz dazu äußerte. Den Auslöser für die Offensive aus Warendorf lieferte eine Geschichte, die möglicherweise gar keine ist:
Im Sommer 2020 hatte der Fernsehsender RTL zum ersten Mal die FN kontaktiert und um eine Stellungnahme gebeten. Anhand von, wie die FN sagt, verpixelten Videoschnipseln sollte belegt sein, dass möglicherweise ein deutscher Kaderreiter mit seinen Trainingsmethoden „barrt“ und damit gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Was genau von wem wie mit welchem Pferd gemacht wurde, war laut FN nicht zu erkennen, weshalb man zur Prüfung um Überlassung des Original-Materials bat. Es gab mehrfach gegenseitige Kontaktaufnahme, aber keine weitergehenden Informationen von RTL.
Aber, wie gesagt, wahrscheinlich ist es auch gar keine Geschichte. Denn ein von RTL nicht namentlich gemachter Experte hat inzwischen nach Sichtung keinen Verstoß festgestellt, weshalb RTL selbst auf die Ausstrahlung verzichtet.
Doch die FN ist aufgeschreckt, will nicht wieder wie vor 30 Jahren beim Barren oder später bei der Diskussion über die Rollkur in die Defensive und Erklärungsnot geraten. Also wurde die Offensive gewählt und Anzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts gestellt, dass es einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz gibt. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung scheint allerdings selbst nicht so sicher zu sein, dass die Polizei bei ihren Ermittlungen an das unverpixelte Original-Material von RTL kommen wird, davor steht unter anderem die Hürde des redaktionellen Quellen- und Informantenschutzes. Aber, so sagte jetzt Soenke Lauterbach: „Wenn an den Vorwürfen nichts dran sein sollte, umso besser.“