Andre´ Thieme wirkt locker und beinahe tiefenentspannt. Immer ein Lächeln auf dem Gesicht, den Schalk im Nacken. Aber beim CHIO Aachen täuscht der erste Eindruck: Der sonst so coole Mecklenburger ist angespannt. Sagt er selber: „Wenn Donnerstagabend vorbei ist, dann bin ich auch entspannter.“ Der Europameister vertritt mit seiner Ausnahme-Stute DSP Chakaria heute um 19.30 Uhr die deutschen Farben beim Mercedes-Benz Nationenpreis, zusammen im Team mit Janne Friederike Meyer-Zimmermann, Jana Wagers und Christian Kukuk.
spring-reiter.de hat mit dem Europameister über Teamgeist, die Anspannung vor dem Nationenpreis in Aachen, die WM in Herning und über einen hoffnungsvollen Nachwuchs-Kracher gesprochen – und André Thieme hat verraten, warum Marcus Ehning „Schuld ist“, dass er jetzt, allen Zweifeln im Vorfeld zum Trotz, bei der Global Champions League mitreitet.
„Es ist noch mal ein riesengroßer Unterschied, ob man in Sopot, Calgary oder Rotterdam reitet, oder hier in Aachen vor heimischen Publikum, in einem Stadion, das bis unters Dach gefüllt ist. Diese Atmosphäre, das ist so einmalig“, beschreibt es der Dreifache-Hamburger-Derby-Sieger, den eigentlich kaum noch etwas schreckt. Erst vor einigen Wochen war er mit Janne Meyer, Christian Kukuk und Philipp Weishaupt im Team beim Nationenpreis im polnischen Sopot siegreich.
„Das absolut Wichtigste für mich in Aachen ist der Nationenpreis. Es ist eine Ehre für mich, da mitreiten zu dürfen. Davon habe ich immer geträumt. Ich bin ein Team-Player. Der Mannschaftsgeist steht bei mir im Vordergrund. So war das auch bei der Euro. Da habe ich über die Einzelwertung überhaupt gar nicht nachgedacht. Ich wollte einfach nur, mein Bestes geben. Damit die Mannschaft so gut wie möglich abschneidet.“
Für seine Fuchs-Stute, die „unter dem Sattel und beim Springen zur Furie wird“, so Thieme, ist es eine Premiere beim CHIO Aachen. Am Mittwoch galoppierte sie schon mal fehlerfrei durch einen ersten Parcours in der Soers. „Ich war mir auch nicht sicher, aber es fühlte sich tatsächlich so an, als wäre sie hier nicht das erste Mal. Das Eröffnungsspringen ist genauso gelaufen, wie wir uns das erhofft haben, ganz locker. Es gibt Pferde, die in solchen Arenen schon mal klein werden. Aber Chakaria wird eher größer, lässt sich nicht so leicht einschüchtern. Ich habe ein richtig gutes Gefühl, die ist einfach auch richtig gut in Form. Ausgeruht bis zum geht nicht mehr. Bei uns zu Hause kommen alle Pferde täglich auf die Koppel. Sollte mich wundern, wenn da richtig was schief geht“, fasst Thieme die sportliche Form zusammen.
Immer mit dem Blick nach vorne und mit dem nächsten großen Ziel vor Augen: Das ist für Thieme die Weltmeisterschaft in Herning im August. Da möchte er natürlich mit dem deutschen Team an den Start gehen. Aber auch ein Europameister muss erst einmal in Aachen abliefern. Eine Nominierung des Bundestrainers ist kein Selbstläufer. Das weiß auch Thieme. „Hier in Aachen darf nichts schief gehen und natürlich müssen wir fit und gesund bleiben.“
Denn im Moment kann er auf diesem Championats-Niveau nur auf DSP Chakaria setzen. Sein Back-up Conacco ist „noch etwas grün“. Ein Ass im Ärmel hat Thieme, so hofft er, mit dem erst achtjährigen großen Braunen Paule S (v. Perigueux x Sir Shutterfly).
„Den haben wir in Sachsen, auf einem Turnier in Chemnitz entdeckt. Er hat wahnsinnig viel Vermögen, ist ein Kraftpaket, der sein Blut kaum bändigen kann, und sehr sensibel. Er ist, denke ich, wie geschaffen für die große Tour. Ich weiß, dass seine Ausbildung sicher noch zwei Jahre dauert. Und der ist hier in Aachen auch wirklich nur dabei, damit er den Platz schon mal kennenlernt. Ich weiß, dass ich in diesem Jahr mit ihm hier keine Chance habe. Aber das ist mir auch völlig egal. Den bilde ich mir jetzt die nächsten zwei Jahre aus und lasse mich nicht locken. Weil ich denke, wenn er die nötige Ruhe hat, dann ist mit dem ganz viel möglich“, schwärmt Thieme über den Nachwuchs-Kracher, der ihm mit einem Freund zusammen gehört.
Und wieso hat er plötzlich dem Werben der Longines Global Tour nachgegeben und reitet nun im Team von Valkenswaard United, obwohl er das lange ausgeschlossen hatte?
„Daran ist Marcus Ehning schuld“, fasst es Thieme kurz und knapp zusammen. „Der hat gesagt, nun sag nicht gleich nein. Hör Dir das doch erst mal an. Und dann habe ich ihm zugehört und er hat mich überzeugt, für das Team Valkenswaard zu reiten. Das Team weiß, dass die WM für mich absoluten Vorrang hat. Das war von Anfang an klar. Die wollen, dass ich mit DSP Chakaria das Finale in Prag im Team reite. Damit ich das machen kann, werde ich im November mit ihr noch mal in Riad starten. Diese ganze Vereinbarung gilt auch nur für dieses Jahr, danach bin ich wieder raus.“
Aber jetzt steht erst einmal der Nationenpreis ganz oben auf der To-Do-Liste.
„Die Anspannung wird sich bis zum Start sicher noch mal steigern. Ich werde mich vorher verkrümeln und werde ganz ruhig. Die Leute denken immer, das macht mir alles gar nichts. Auch Otto Becker sagt schon mal zu mir: Nimm das hier ernst. Weil ich offensichtlich so locker rüber komme“, lacht Thieme. Er wird den Nationenpreis erst nehmen, weil er ein Team-Player ist und mit der Mannschaft nur eines will: Gewinnen!
Text und Interview: Corinna Philipps