Im norwegischen Reitsport gehört er fast schon zum Inventar: Der international erfolgreiche Springreiter Geir Gulliksen vertritt seit mehr als 40 Jahren die Farben der skandinavischen Halbinsel. Etliche Nationenpreise hat der 63-Jährige im Sattel für sein Land bestritten, an zwei Olympischen Spielen und vier Weltmeisterschaft teilgenommen. Und auch seine beiden Kinder Victoria (30) und Johan-Sebastian (26) sind bereits erfolgreich bei Championaten für ihr Land gestartet.
Wir haben Norwegens bekannteste Reitsport-Familie am Rande des Leipziger Turniers zum Interview getroffen, mit ihnen über astronomische Angebote für Springpferde, über bedrohliche Hetze und persönliche Angriffe im Netz sowie große sportliche Ziele gesprochen.
Victoria kommt mit einem gebrochenen Finger zum Interview. „Das war Papa Roach“, lacht die Springreiterin. Der Hannoveraner Wallach hatte sich in der Leipziger Abreitehalle losgerissen und war durch die Halle gestürmt. Als er wieder in Richtung Victoria galoppierte, reagierte diese prompt: „Ich dachte, wenn ich jetzt nicht zugreife, ist das Finale in Omaha futsch. Also habe ich nach den Zügeln gegriffen, und dann hat er mich durch die Halle geschleift.“ Ein gebrochener Finger war zum Glück die schlimmste Verletzung. Victoria Gulliksen nimmt es ihrem Sportpartner nicht übel. „Er ist total crazy“, sagt die Reiterin und grinst. Sie sind ein eingespieltes Team, kennen sich in- und auswendig. Zum Auftakt der aktuellen Weltcup-Serie in Oslo im vergangenen Oktober wurde ihre Team-Leistung mit Platz zwei belohnt. Auch bei den folgenden Weltcup-Etappen in Helsinki und Mechelen gab es vordere Platzierungen plus wertvolle Punkte, und so ist das Weltcup-Finale im April in Omaha für Victoria, derzeit auf Platz 12 im Weltcup-Ranking, nun zum Greifen nahe. Diesem Ziel wird derzeit daher auch alles untergeordnet.
Doch das Talent des 14-jährigen Fuchses weckt auch Begehrlichkeiten, insbesondere in Saudi Arabien. „Uns wurden 2 Millionen Euro für das Pferd geboten. Ein irrer Preis für ein Wallach in diesem Alter“, erzählt Geir Gulliksen ganz offen. Sechsjährig hatte die Familie Papa Roach von Andreas Knippling für 190.000 Euro gekauft. Damals saß Eva Bitter im Sattel des talentierten Youngsters von Perigueux. Der Familien-Rat tagte. Intensiv. Am Ende überließ Geir Gulliksen die schwere Entscheidung seinen Kindern. “ Ich habe den Beiden gesagt, ich habe für mein Leben alles, was ich brauche. Mein Leben verändern diese zwei Millionen nicht mehr. Aber euer Leben – ihr müsste es also entscheiden“, sagt Gulliksen, der selbst 2020 die Weltcup-Etappe in Göteborg gewann.
„Das war wirklich hart. Mit zwei Millionen Euro kann man viel machen. Ich bin es mein ganzes Leben gewohnt, dass die Pferde an irgendeinem Punkt immer verkauft werden. So bin ich aufgewachsen. Ich habe es den potentiellen Käufern von Papa Roach dann auch absichtlich schwer gemacht. Ich habe Unsummen aufgerufen, gesagt, sie müssen ihn tierärztlich untersuchen, bevor sie ihn ausprobieren. Wenn sie ihn ausprobieren wollen, müssen sie noch mehr zahlen und so weiter. Aber die Araber blieben dran, ließen nicht locker“, erzählt Victoria. Am Ende haben sich Victoria und Johan trotzdem gegen den Verkauf entschieden. „Zum einen lockt das Weltcup-Finale. Zum andren hätten die künftigen Besitzer Papa Roach möglicherweise auch anders behandelt, als wir das tun. Also haben wir uns gegen das viele Geld und für das Pferd entschieden“, fasst es Victoria zusammen. Natürlich, darüber ist sich die Familie einig, muss man es sich auch leisten können, auf 2 Millionen Euro zu verzichten.
Die Familie lebt vom Pferdehandel, betreibt einen Ausbildungs- und Handelsstall in Norwegen. Victoria lebt mit ihrem Freund, dem internationalen Springreiter Jordy van Massenhove, allerdings mittlerweile in Belgien. Für Johan geht es diese Woche mit drei Pferden nach Amerika. Zwei Pferde sollen dort mit ihm Turnier-Erfahrung sammeln, das dritte Pferd wird verleast. „Viele Leute denken, man verleast ein Pferd, weil die Leute kein Geld haben. Aber das ist nicht der Fall. Wenn Du in Amerika Pferde verkaufst, kannst Du schnell mal verklagt werden. Um das zu umgehen, ist es manchmal einfacher, die Pferde zu vermieten“, erklärt Geir Gulliksen.
Die Reise nach Amerika ist ein teures Invest. „Es kostet rund 10.000 Euro pro Pferd, in den USA zu starten. Aber wir machen viele Geschäfte mit den Amerikanern, und es ist für uns auch wichtig, dort Präsenz zu zeigen. Der Pferde-Handel ist unser Tages-Geschäft, Reiten ist auch wichtig, aber das Hauptaugenmerk liegt auf dem Handel“, bringt es der Geschäftsmann auf den Punkt. Gulliksen liebt Pferde, er hat noch fünf Rennpferde, auch das ist ein Business. Aber es sei viel schwieriger, mit Rennpferden Geld zu machen als mit Springpferden, da die sportlichen Karrieren der Rennpferde normalerweise deutlich kürzer sind. „Wenn ich zum Beispiel ein Springpferd für 250.000 Euro kaufe und es reicht am Ende nicht für ganz oben, kann ich es immer noch für den gleichen Preis an einen Amateur verkaufen. Bei Rennpferden geht das so nicht“, rechnet Gulliksen vor.
Er selber ist nach einem schweren Sturz, einer Hüftverletzung mit anschließender Operation im Juli vergangenen Jahres, erst kürzlich wieder in den Sattel zurückgekehrt. „100 Prozent wird es sicher nicht werden. Ich habe zwar keine Schmerzen, aber eine riesige Narbe. Normalerweise bekommt man bei so einer Verletzung eine neue Hüfte, aber die Ärzte in Norwegen meinten, eine künstliche Hüfte wären für das Reiten nicht optimal, der Hüftknochen könnte über dem Sprung aus der Pfanne springen. Deshalb wurde die Hüfte repariert“, lacht Gulliksen. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht: „Ich habe gute Gene. Mein Vater ist 97 Jahre alt, ich werde also noch eine Weile Turniere reiten.“ Hoffentlich ohne weitere Stürze und Verletzungen. „Wir haben alle drei nach vielen Knochenbrüchen etliche Schrauben im Körper. Am Flughafen lösen wir bei den Sicherheitskontrollen regelmäßig den Alarm aus“, lacht Victoria.
Sorgen macht der Reitsport-Familie das zunehmend schlechte Image ihres Sports. „Da draußen sind so viele verrückte Leute unterwegs, die nicht wollen, dass überhaupt jemand reitet“, weiß Geir Gulliksen aus Erfahrung. Und Victoria fügt an: „Wenn ich auf dem Arbeitsplatz auf einem Turnier reite, und die Leute einen Moment filmen, in dem ich das Pferd gerade anhalten möchte oder ich mit einer Parade durchkommen muss, das Pferd kurz den Kopf etwas zu tief hat oder das Maul öffnet, dann wird dieses Foto, völlig aus dem Zusammenhang gerissen, veröffentlicht, und ich werde danach beschuldigt, am Zügel gezerrt und mein Pferd gequält zu haben. Das ist echt super, super schwierig.“
Geir Gulliksen bekam die Wucht der Sozialen Medien gerade selbst zu spüren: „Im Dezember habe ich in Norwegen einen Hengst bei einer Hengstshow geritten und ihn nur zweimal ganz leicht mit der Gerte berührt, damit er bei mir bleibt, mir Aufmerksamkeit schenkt. Es war total unspektakulär auch die Richter hatten nichts zu beanstanden. Aber eine ziemlich mächtige Tierschutzorganisation in Norwegen zeigte mich tatsächlich bei der Polizei an. Hand aufs Herz, ich habe in meiner ganzen reiterlichen Karriere nicht eine Gelbe Verwarnungskarte bekommen. Niemand wird es je erleben, dass ich ein Pferd mit der Gerte verprügele oder den Pferden anderweitig Gewalt zufüge. Das würde ich niemals tun.“ Die Richter und auch die Polizei legten die Sache nach der Prüfung schnell zu den Akten.
Nicht so die Kritiker in den Sozialen Medien. „In der Anonymität des Internet sind viele Menschen sehr, sehr mutig“, weiß Victoria. Nachdem die Leute das Video auf ClipMyHorse gesehen hatten, hagelte es böse und beleidigende Nachrichten. Auch an ihre Adresse, „weil mein Vater kein Instagram hat“. Geir erzählt kopfschüttelnd: „Einer hat Victoria geschrieben, sie solle sich erhängen, weil sie die Tochter eines Pferdequälers ist.“ Geir Gulliksen zog daraus jetzt seine Konsequenz: „Ich werde einfach gar keine Gerte mehr mit in den Parcours nehmen. Wir nutzen die Gerte im Parcours ja sowieso nur in Situationen, wo man das Pferd etwas ermuntern oder anspornen muss, die Gerte setzt nur einen leichten Impuls. Aber das ist offensichtlich immer weniger vermittelbar.“
Gulliksen findet, sogenannte Tierschützer brächten oftmals das Leben der Reiter und Pferde selber in Gefahr. So geschehen Ende Dezember beim Weltcup-Turnier im belgischen Mechelen, als militante Tierschützer mitten in einem internationalen Springen das Licht ausschalteten und in den Parcours rannten. Der niederländische Springreiter Willem Greve war gerade im Parcours unterwegs. „Kaum auszudenken, was dabei hätte passieren können“, sagt Geir Gulliksen.
Die Gulliksens traten die Flucht nach vorne an. „Wir haben die Kritiker zu uns eingeladen, damit sie mal sehen können, wie unsere Pferde leben, sehen können, wie gut wir uns um sie kümmern.“ Natürlich kam niemand. Stattdessen wurde behauptet, auch die Richter seien korrupt. „Das sind natürlich wirklich schlimme Vorwürfe und so etwas darf man auch nicht so stehen lassen. Hätten diese Leute mehr Pferdeverstand, würden sie wissen, dass unser Umgang normal ist. Einem 600 Kilogramm schweren Pferd einen kleinen Klaps mit der Gerte zu geben, tut nicht weh. Aber sie wollen das auch gar nicht verstehen“, ist sich Geir Gulliksen sicher.
Er wirft den sogenannten Tierschützern falsch verstandene Tierliebe vor. „Die lassen ihre Pferde auch mal bei Minus 15 Grad ohne Decken oder Schutz draußen stehen. Unsere Pferde haben es dagegen total gut. Nach einer Stunde Arbeit am Tag werden sie gebürstet, gefüttert, gestreichelt, gehegt und gepflegt. Das ist wie Wellness.“
Und das müsse auch so sein. Nur wer mental und körperlich fit ist, kann am Ende Höchstleistungen bringen. Das ist auch bei Pferden so. „Wenn das Pferd keine Lust hat, einen 1,60m-Parcours zu springen, bleibt es einfach am Einritt stehen. So einfach ist das“, erklärt Geir Gulliksen.
Familie Gulliksen hat die Pferde zum Glück auf ihrer Seite. Anders geht es auch nicht, wenn man so große Ziele verfolgt. „Zu dritt im Team für Norwegen bei Olympischen Spielen starten. Das wäre unser Traum“, lacht Geir Gulliksen zum Schluss. Und vielleicht geht dieser Traum ja sogar in Erfüllung.