Noch wird geputzt, gepflanzt, gerückt – und aus der Ferne blinkt die Ostsee: Die nagelneue Reitanlage im mecklenburgischen Hohen Wieschendorf bereitet sich auf ihre Generalprobe vor, das Late Entry am 18. und 19. April, ehe es vom 10. bis 14. Mai richtig ernst wird mit der DKB Pferdewoche, einem CSI4*, dem einzigen weit und breit.
Sozusagen aus dem Stand von Null auf CSI4*-Niveau, dazu gehören Mut und Selbstvertrauen. Aber seitdem das CSI4* von Hausherr Enno Glantz im Terminkalender auftauchte, gingen, so sagt er, in Warendorf „die Nennungen durch die Decke“. Nationenpreisreiter Holger Wulschner, der bis zum vergangenen Jahr die DKB-Pferdewochen etwa 80 Kilometer entfernt auf seiner Anlage in Groß Viegeln ausrichtete, ist der sportliche Leiter. Zu denen, die nach Hohen Wieschendorf kommen wollen, gehören sein Nationenpreis-Kollege Marcus Ehning, sein Mecklenburger Landsmann, Europameister André Thieme, Janne Friederike Meyer-Zimmermann, die Tebbels und und und.
Aber was sollte den Mann, der hinter diesem ambitionierten Projekt steht, auch schrecken? Er hat in seinem Leben schon so viele Felsbrocken nach oben gewuchtet, ohne dass sie ihm wie einst bei Sisyphus wieder herunterrollten:
Enno Glantz steckt voller Tatendrang. In Delingsdorf, vor den Toren Hamburgs, wurde er zum Erdbeerkönig, hier, in Hohen Wieschendorf, zwischen Wismar und Boltenhagen, ist er zurück auf heimischer Scholle. Die Augen blitzen, wenn er erzählt und den Blick schweifen lässt über seine 400 Hektar Land direkt an der Ostsee. „Ich hatte nie geglaubt, dass ich in meinem Leben hier wieder eine Chance hätte, das erschien völlig unrealistisch, und ich war deshalb 1990 wie elektrisiert, wieder herzukommen.“ Denn die Geschichte der Familie Glantz ist ein Stück typisch deutsche Geschichte.
Vor 111 Jahren kaufte der Großvater Paul Glantz das Gut in Hohen Wieschendorf und baute es auf. Der älteste Sohn sollte als Erbe die Tradition fortführen – aber dazwischen kamen der Zweite Weltkrieg und die deutsche Teilung. Die Familiengeschichte der Familie Glantz an der Wismarer Bucht wurde für 45 Jahre unterbrochen. „1945 wurden alle Großgrundbesitzer enteignet, wer nicht weglief, kam nach Sibirien oder wurde erschossen“, blickt Enno Glantz zurück auf dieses dunkle Kapitel. Seine Familie floh im November 1945 nach Westen mit den fünf Kindern. Vater Günther wurde Verwalter von zwei Hamburger Stadtgütern, Sohn Enno wuchs mit seinen vier Geschwistern in Hamburg auf. In Delingsdorf machte sich der Vater, als die Stadtgüter geschlossen und anschließend mit Wohnungen bebaut wurden, auf gepachtetem Land selbstständig. „Er wurde zum Pionier“ im Feldanbau von Erdbeeren. Pflanzenzüchter Professor Reinhold von Sengbusch, Leiter der Max-Planck-Gesellschaft in Hamburg-Volksdorf, hatte ihn für einen Testanbau der Erdbeersorte Senga Segana begeistern können. Das Experiment mit dem großflächigen Anbau auf Feldern funktionierte mit dieser Erdbeersorte und wuchs zum Erdbeerhof Glantz heran. Sohn Enno übernahm 1972 zusammen mit seiner Frau Lisa das Zepter im Familienbetrieb, das Unternehmen wuchs. Direktvermarktung der süßen roten Frucht war das Zauberwort, rund 250 Erdbeerhäuschen im Großraum Hamburg sind jedes Jahr zur Erntezeit im Einsatz. Alles in Handarbeit gepflanzt und geerntet, weshalb das Thema Mindestlohn ein existenzielles ist: „Es geht um unsere Konkurrenzfähigkeit“, sagt der Chef. Denn mit aktuell 12 Euro pro Stunde muss man sich unter anderem mit der polnischen Konkurrenz auseinandersetzen, wo der Mindestlohn bei 4,87 Euro liegt.
Süßes hat in der Familie Tradition, früher waren es noch nicht die Erdbeeren, sondern die Zuckerrüben, die in großem Stil angebaut wurden. „Mein Großvater war Mitbegründer der Wismarer Zuckerfabrik.“ Er stellt klar, „ohne Erdbeeren kann ich nicht leben“, aber trotzdem sind sie für Enno Glantz nicht alles im Leben. Die zweite Passion sind die Pferde. In jungen Jahren selbst als Amateurreiter bis zur schweren Klasse im Springsattel unterwegs, begann er mit der Pferdezucht. Sie wurde für ihn zu nächsten Erfolgsgeschichte: Zucht, Ausbildung der Springtalente und späterer Verkauf der erfolgreichen Youngster – es funktionierte. Folgerichtig entstand auf der großen Anlage in Delingsdorf auch ein Hoffest-Wochenende mit dem „Glantz Erdbeercup“ als Höhepunkt, einem S***-Springen und einem S*** Grand Prix de Dressage.
Aber so gut sich alles entwickelte und fügte, da gab es zuhause an der Wand ja auch noch die Bilder vom alten Familiensitz in Hohen Wieschendorf, die immer wieder ans verlorene Paradies erinnerten. Dank Willy Brandts Ostpolitik durfte die Familie im Jahr 1970 zum ersten Mal wieder die alte Heimat besuchen. Nach der Wende 1989/90 konnte dann der alte Traum realisiert werden. Zwar verhinderte ein Gesetz der Regierung Kohl, dass die sowjetischen Enteignungen zwischen 1945 und 1949 in der ehemaligen DDR rückgängig gemacht wurden, was Enno Glantz mit dem knappen Kommentar „unmoralisch“ versieht, aber es ging zurück auf die heimische Scholle: Die Kern-Gutsanlage konnte gekauft werden, der Rest wurde erst einmal gepachtet. Bis 2004 dauerte es, ehe der Familienbesitz wirklich wieder der Familie gehörte – außer dem Stück Gelände, das ein Investor für den Golfplatz gekauft hatte. Zumindest die Anfänge der Heimkehr hatte Vater Günther noch miterleben können, ehe er 1994 starb.
Es entstand der zweite Erdbeerhof Glantz neben dem in Delingsdorf. In den vergangenen zwei Jahren konnte sich Enno Glantz dann auch noch seinen zweiten Traum erfüllen, den Bau der Reitanlage in Hohen Wieschendorf. Sie wurde zu einem ganz besonderen Schmuckstück: Rechts und links vom Mittelbau wachsen in jeweils 21 großen Boxen die selbst gezüchteten Pferde auf, Außenpaddocks auf Sand und Gras bieten ihnen paradiesische Verhältnisse. Hinter den Stalltrakten zweigen vom Mittelbau zwei Reithallen – 30 x 70 m und 25 x 50 m mit Ebbe-Flut-Böden ab. Davor liegen die beiden Ebbe-Flut-Außenplätze: 50 x 90 m der Turnierplatz und auf 40 x 80 m daneben der Vorbereitungsplatz. Für die Ausbildung der eigenen Pferde ist der Mecklenburger Christoph Lanske an Bord, soll „das Gesicht“ dieser Unternehmung für Enno Glantz werden.
Auf dem extra angelegten Wall hinter der Längsseite des Turnierplatzes wird beim Turnier das VIP-Zelt stehen, gegenüber, an der Hallenrückwand, prangt dann eine Tribüne für 700 Zuschauer. Drumherum viele Stehplätze und neben dem Vorbereitungsplatz werden die Zelte fürs „Volksfest“ à la Delingsdorf aufgebaut zum Bummeln, Essen und Trinken sowie für die Kinder zum Spielen. Und natürlich für ganz viele Erdbeerstände. Man ist ja schließlich bei Glantz.
Eintritt?
Enno Glantz ist fast beleidigt bei dieser Frage: „Die Leute sind meine Gäste, da kann ich doch von Ihnen kein Geld nehmen!“ Dementsprechend ist natürlich auch das Parken frei.
Bisher waren „die Jahre 1990 bis 1994 die schönsten Jahre meines Lebens“, strahlt der Hausherr. Es war die Zeit der Heimkehr auf die vor 111 Jahren erworbene heimische Scholle. Aber wer weiß, ob nicht diese Jahre, in denen er gerade seine Pferde-Liebe verwirklicht, damit demnächst konkurrieren können.