Vor zwei Jahren wurde er unsanft ausgebremst. Starke Schmerzen und eine notwendige Rücken-OP verordneten Hans-Dieter Dreher eine reiterliche Zwangspause. Und eigentlich wollte er danach auch kürzertreten. Eigentlich. Doch das ist Schnee von gestern. Der 51-Jährige reitet auf der Erfolgswelle. Anfang Oktober war er im Sattel des Holsteiners Elysium mit zwei fehlerfreien Runden als bester deutscher Reiter beim Nationenpreis-Finale in Barcelona maßgeblich am souveränen Sieg des deutschen Teams beteiligt. Ob in Spanien, als Vierter im Großen Preis von Calgary, beim CHIO Aachen, in Münster, Riesenbeck, Donaueschingen, Hamburg, Rotterdam, Doha oder Amsterdam – Hansi Dreher reitet derzeit von Erfolg zu Erfolg. Jetzt hat die aktuelle Nummer 26 der FEI Weltrangliste sogar Olympia in Paris im Visier.
spring-reiter.de hat mit dem Badener über große Ziele, Pferde-Liebe auf den ersten Blick, leidenschaftliche Sponsoren und enge Freundschaften unter den Springreitern gesprochen. Und er hat uns verraten, was er so gar nicht ausstehen kann.
Auf Hansi Dreher ist Verlass. Bei fünf Nationenpreisen in 2023 konnte Bundestrainer Otto Becker auf den Einsatz von Hansi Dreher zählen. Es ist ihm eine Ehre, die deutschen Farben zu vertreten: „Ja, das stimmt. Ich habe im Moment auch den Vorteil, dass ich ein paar richtig gute Pferde habe. Deswegen funktioniert das auch“, grinst Hansi Dreher im Gespräch mit spring-reiter.de
Der Spitzenreiter ist gut drauf. Es läuft für ihn. „Ich fühle mich gut, habe null Beschwerden, keine Einschränkungen. Das war vor rund zwei Jahren ganz anders“, erinnert sich Dreher. Damals hatte er massive Probleme mit der Bandscheibe. Alles fing auf einem Turnier an. „Ich war im Ziel, und das Pferd bockte so links-rechts und danach hatte ich ein steifes Genick. Ich bin dann noch ein paar Turniere geritten, aber irgendwann konnte ich nicht mehr, die Schmerzen waren zu groß.“ Dreher wurde operiert: „Die haben im Halsbereich zwei Wirbel versteift.“ Schnell ging es zurück in den Sattel und in die Erfolgsspur. Von kürzertreten keine Spur.
„Die kaufen immer so gute Pferde“, lacht sich Hansi Dreher. ‚Die‘, das sind die Sponsoren von Hansi Dreher, die Familie Aregger. Die Springsport begeisterten Areggers sind ein Glücksfall für Hansi. Sie begleiten ihn oft zu Turnieren, unterstützen ihn, teilen die gleiche Leidenschaft. Das hilft. „Ich habe mittlerweile keine Beritt-Pferde mehr. Ich bin ja auch älter geworden und will nicht mehr so viel reiten“, schmunzelt Hansi Dreher, der nur noch die Aregger-Pferde reitet. „Das sind immer so zwischen acht und zehn Pferde. Ich bin auch bei denen angestellt“, erzählt der Springreiter.
Die Sponsoren und der Nationenpreisreiter kennen sich schon lange. „Ich bin früher schon mal zwei, drei Pferde für sie geritten, später haben wir uns aber aus den Augen verloren“, erinnert sich Dreher. „Dann war es eigentlich ganz lustig. Die hatten ein Pferd, der war so ein bisschen speziell. Damit ist Herr Aregger Amateur-Springen geritten, aber das ging nicht so gut. Und dann haben sie mich gefragt, ob ich den reiten würde. So kam das dann“, erklärt Dreher. Er hatte damals noch den Schweizer Unternehmer Roland Zanotelli als Sponsor, dem unter anderem Berlinda gehörte. Weil auch der aus Altersgründen kürzertreten wollte, übernahm Familie Aregger irgendwann alle Pferde.
„Heute sichten und suchen wir zusammen neue Pferde“, sagt Hansi Dreher. Die meisten vierbeinigen Sportpartner bekommen sie von einem befreundeten Händler in der Schweiz. „Wenn er ein gutes Pferd hat, dann ruft er uns an. Fast alle Pferde sind von ihm“, verrät Dreher.
Sein absolutes Top-Pferd derzeit ist der Holsteiner Elysium (v. Zirocco Blue). Mit dem großrahmigen Schimmel lieferte er im Nationenpreis-Finale in Barcelona zwei Null-Runden für Team-Deutschland ab und war damit auch maßgeblich für den Mannschafts-Sieg verantwortlich. „Liebe auf den ersten Blick“, war es zwischen Hansi Dreher und dem heute elfjährigen Schimmel. „Seine ganze Erscheinung ist eindrucksvoll und wenn der so abhebt, kann jeder sehen, dass der viel drinnen hat“, schwärmt sein Reiter.
So ganz ohne Dissonanzen verliefen die ersten gemeinsamen Starts allerdings nicht. „Am Anfang hatte ich Probleme auf dem Abreite-Platz. Wenn da viel Hektik herrschte, wurde er schon auch nervös. Der hat richtig viel Blut, das sieht immer so aus, als wäre er so ruhig. Aber das täuscht“, weiß Dreher, der mit Elysium auch im Nationenpreis in Calgary Zweiter mit dem deutschen Team wurde.
Für 2024 nehmen die beiden ein besonders schweres Championat ins Visier. „Olympia in Paris ist schon ein Ziel. Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass Elysium das gut springen kann – nicht nur mitmachen, sondern so einen schweren Parcours richtig, richtig gut springen kann“, ist Hansi Dreher überzeugt. Die Konkurrenz im deutschen Springreiter-Lager schreckt ihn nicht: „Konkurrenz ist immer gut, das spornt an. Klar, ich will immer das Beste geben, wie viele andere auch“, lacht Hansi Dreher angriffslustig.
Schon jetzt wird der Turnierkalender auf das große Ereignis angepasst. „Wir müssen natürlich schauen, wie sich das ganze Jahr entwickelt. Ich möchte so planen, dass Elysium zu dem Datum Olympia richtig gut in Schuss ist“, bringt Dreher seinen Plan auf den Punkt.
Die meisten Siegerschleifen im Stall Dreher heimst allerdings nicht Elysium, sondern der flinke Franzose Vestmalle des Cotis ein. Der Baloubet du Rouet-Sohn ist ein Serien-Sieger. „Weil er so schnell ist“, lacht sein Reiter. Liebe auf den ersten Blick war es zwischen Dreher und dem rappeligen Fuchs allerdings auch „gar nicht. Der ist ein ganz spezielles Pferd beim Reiten. Die Abstammung Baloubet x Landor S sagt ja schon, dass er nicht der Einfachste ist. Der hat eine Riesen-Einstellung. Er ist vorsichtig, hat Vermögen, das alles ist richtig gut. Aber beim Ausprobieren ist er mit mir schon hingelaufen, wo er wollte“, erinnert sich Hansi Dreher.
Er war anfangs nicht überzeugt von dem Pferd. Ließ sich jedoch vom Schweizer Händler seines Vertrauens doch überzeugen, sich und dem Fuchs eine Chance zu geben. „Dafür muss ich dem auch noch mal danken. Er meinte damals, ‚nun nimm den mit, reite ihn drei Monate und dann schauen wir weiter‘. Er kannte ihn ja, wusste, dass der richtig springen kann. Und dann war das auch auf dem Turnier gleich viel einfacher als zu Hause“, so Dreher. Bis heute springt er mit Vestmalle des Cotis zu Hause nie. „Der macht sich zu viel Stress, der will alles zu gut machen. Und seitdem ich den zu Hause nicht mehr springe, geht es ihm gut. Ich mache normale Dressur-Arbeit. Wir gehen auch viel ins Gelände und er kommt auf die Weide. Sowieso kommen alle meine Pferde auf die Weide“, erzählt Hansi Dreher.
Mittlerweile ist Vestmalle des Cotis auch etwas ruhiger geworden, hat Hansi ihn auf seine Seite gezogen. Mit viel Zeit und Geduld. „Man muss sich viel mit den Pferden beschäftigen. Ich habe ein super Team zu Hause, mein Pfleger Stefan, der ist schon 16 Jahre bei mir. Der kümmert sich um die Pferde. Dann habe ich eine sehr gute Bereiterin. Die arbeitet die Pferde, und meine Frau macht auch mit, genauso wie mein Sohn Ben. Da bin ich sehr zufrieden mit meinem Team. Damit ich so ein wenig den Rücken frei habe“, freut sich der Spitzenreiter, der fast jedes Wochenende auf internationalen Turnieren unterwegs ist.
Und was ist ihm bei seinen Pferden am Wichtigsten? „Die Einstellung“, antwortet Hans-Dieter Dreher wie aus der Pistole geschossen: „Da ist Vestmalle das beste Beispiel. Farbe, Abstammung, das ist egal. Es kommt auf die Einstellung an.“ Seine jahrelange Erfahrung hilft ihm, schnell heraus zu finden, ob ein Pferd die gewünschte Eigenschaft hat, oder eben nicht: „Das ist Gefühlssache.“
Ein gutes Gefühl hat er auch bei seiner Nachwuchs-Hoffnung: „Wir haben einen richtig guten Sechsjährigen. Das ist ein Sohn von der Twenty Clary, die ich früher geritten bin. Den haben wir erst dieses Jahr gekauft. Der geht jetzt Springpferdeprüfungen und springt schon jetzt richtig, richtig gut. Und er ist ganz einfach. Im Moment wird er von Michi Herhalt vorgestellt. Der Plan wäre, dass er nächstes Jahr ein bisschen Youngster Touren mit mir geht.“
Bis zu einem Großen Preis am Sonntagnachmittag ist es natürlich noch ein langer Weg. Dreher erinnert sich gerne an einen seiner schönsten Erfolge in der Heimat zurück: „Der Sieg mit Embassy in Stuttgart war sicher einer meiner schönsten Siege.“ Mit dem bildhübschen, schwarzbraunen Escudo-Sohn hatte Dreher 2013 die Weltcup-Etappe in Stuttgart gewonnen, später folgten u.a. Siege in Oslo und Leipzig (2015) sowie Nationenpreiseinsätze. „Am Ende sind es immer zwei, die Höchstleistungen bringen müssen, die in diesen zwei Minuten im Parcours top drauf sein müssen. Das ist schon eine enorme Herausforderung“, bringt Dreher seine Faszination für den Springsport auf den Punkt.
Ein Beispiel für absolute Harmonie zwischen Pferd und Reiter ist für Dreher auch der Sieg im Großen Preis von Münster mit Vestmalle des Cotis in diesem Jahr. „Das war ein Hammer Stechen“, lacht Dreher, der sich gerne mal Rat bei seinem Kollegen Marcus Ehning holt: „Mit ihm tausche ich mich oft aus. Ich war auch schon früher einige Male bei ihm zum Trainieren.“
Auch bei ihm zu Hause sind Zuschauer im Stall durchaus willkommen: „Wenn jemand beim Training zugucken möchte, dann ist er willkommen. Ich finde es wichtig, dass wir alles transparent machen und offenhalten. Damit ist der Springsport auf einen guten Weg“, findet Dreher, der sich selber als ruhig und ausgeglichen beschreibt. Eine Charaktereigenschaft, die auch im Umgang mit den Pferden hilft. Nur „Unehrlichkeit“ kann den in sich ruhenden Dreher schon mal in Rage bringen. „Das kann ich überhaupt nicht ausstehen.“
Er ist mit Pferden aufgewachsen, sein Vater betrieb einen Reitstall. Mit sieben Jahren nahm er an ersten Reiterwettbewerben teil. Als Achtjähriger startete er in seinem ersten E-Springen, wurde später bei den Junioren zweimal Baden-Württembergischer Meister sowie Neunter bei der Deutschen Meisterschaft. Auch bei den Jungen Reitern holte sich Hans-Dieter Dreher zwei Landesmeister-Titel, denen 2005 der Erfolg bei den Senioren folgte. Nach den Lehrjahren im elterlichen Stall arbeitete Hans-Dieter Dreher drei Jahre lang als Handelsreiter im Elsass und stellte die Verkaufspferde von Pierre Baldeck auf Turnieren im Dreiländereck vor, „da habe ich gelernt, mich auf die verschiedensten Pferde einzustellen“. Das kommt ihm noch heute zu Gute.
Und das bringt er auch seinem demnächst 15jährigen Sohn Ben bei, der am liebsten ohne Umwege direkt in die Fußstapfen des erfolgreichen Vaters treten würde: „Am Anfang hatte ich schon Angst beim Zusehen. Da war er noch so ein kleiner Stöpsel und da musste ich schon sehen, dass das Pferd mit ihm kein Mist macht. Mittlerweile ist er größer, hat mehr Einwirkung. Jetzt bin ich auch gelassener“, gibt der stolze Vater zu. Derzeit ist der Sohn auf L und M-Niveau im Springsattel unterwegs. „Der Plan ist, dass er eine kaufmännische Lehre macht. Das will er eigentlich nicht, er will nur reiten. Aber eine kaufmännische Ausbildung kann am Ende auch helfen, wenn man später einen eigenen Betrieb führen möchte“, findet Hansi, der sich ein Leben ohne Pferde niemals vorstellen könnte.
In der wenigen Freizeit „kümmere ich mich um meine Familie“. An anderen Sportarten wie zum Beispiel Fußball hat der passionierte Pferdemann kein großes Interesse. Auch Urlaub steht eher selten im Kalender. „Meine Frau und ich fahren gerne mal für ein paar Tage in den Wellness-Urlaub. Aber nach fünf Tagen reichte es dann auch wieder“, grinst Dreher. Er ist Pferdemensch, ein Team-Player, heimatverbunden und bescheiden. Da weiß auch der Bundestrainer immer, was er an ihm hat und dass er jederzeit auf ihn bauen kann.
Text und Interview: Corinna Philipps. Fotos: Julie Suhr