Er führt ein Leben auf der Überholspur: Geschwindigkeitsbegrenzungen sind nichts für Richard Vogel. Nicht auf der Straße und schon gar nicht im Parcours. Mit viel PS und Überschall-Geschwindigkeit ist der 26-Jährige das FEI Ranking emporgeschossen. Gerade hat die aktuelle Nummer zwölf der Weltrangliste im Sattel von United Touch S sensationell den Rolex Grand Prix in Genf gewonnen. Selbst Kollegen staunen und zollen dem Überflieger allergrößten Respekt, wie an diesem Wochenende Europameister Steve Guerdat.
Ich treffe Richard Vogel zum Interview, und aus geplanten 15 Minuten wird am Ende ein mehr als zweistündiges intensives Gespräch über seine beeindruckende Karriere, das frühe Ende seiner Kindheit, seine Philosophie bei der Pferdeausbildung, sein nicht ganz ungefährliches Lieblings-Hobby und seine Risikofreude. Und Richard Vogel verrät, warum für ihn Eigenverantwortung wichtig ist und er jetzt auch im Vorstand des International Jumping Riders Club (IJRC) mitmischt.
Richard Vogel steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Trotz der letzten großen Erfolge hebt der Baden-Württemberger nicht ab. „Immer schön auf dem Teppich bleiben“, lautet seine Devise. Auch wenn er noch jung ist, Eines hat er gelernt: Sich auf dem Erfolg auszuruhen, alles auf die leichte Schulter zu nehmen, das funktioniert im Springsport nicht.
„Das ist der Vorteil von unserem Sport, manchmal auch der Nachteil, man kommt immer ganz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Nach dem Nationenpreissieg in Barcelona, ein Wochenende, das ich in meinem Leben nicht vergessen werde und das eine unglaublich tolle Erfahrung war, sind wir nach Mexiko geflogen. Dort ritt ich im ersten Springen Cepano Baloubet und noch ein anderes erst neunjähriges Pferd. Es ging, in Anführungsstrichen, nur über 1,45m. Ich habe das vielleicht einen Tick zu sehr auf die leichte Schulter genommen und bekam gleich eins ausgewischt. Da ging das erste Springen direkt mal in die Hose. Was aber auch gut ist, dann ist man gleich wieder ein wenig wachgerüttelt und auf dem Boden und weiß, das Nationenpreisfinale war zwar super, aber das ist vorbei und das bringt dir diese oder die nächsten Wochen gar nichts mehr. Jedes Turnier startet bei Null und man muss von Neuem immer wieder das Beste geben.“
Natürlich genießt er den momentanen Erfolg: „Aber der Aufstieg ging nur mit viel Arbeit, und dieses Niveau zu halten, wird auch nur mit viel Arbeit gelingen.“ Vogel ist realistisch, weiß, dass jede Welle irgendwann bricht, man nicht von Erfolgen, sondern eher aus Niederlagen lernt.
Im Moment dominiert der Erfolg. Gleich am Anfang des Jahres beendete Vogel mit United Touch S das Weltcup-Finale in Omaha als bester Deutscher auf Platz acht. Wenig später gewann er mit Cepano Baloubet den Rolex Grand Prix in Wellington. Es folgten Siege in Hohen Wieschendorf, Nationenpreis-Einsätze in Rom und Calgary, Erfolge in Aachen inklusive einer Platzierung mit United Touch S im Großen Preis und das Sahnehäubchen mit dem Nationenpreis-Sieg in Barcelona sowie dem Sieg im Rolex Grand Prix in Genf. „Ich hatte ein wirklich tolles Jahr. Gut war sicher, dass ich zum Anfang des Jahres eine erfolgreiche Saison in Wellington hatte und dort auch Cepano von der Familie Tracy für mich gesichert wurde. Das war unabhängig von irgendeinem Erfolg super für mich zu wissen, du hast ein neunjähriges Nachwuchspferd, der ist gesichert und man kann in die Zukunft planen. Das ist nicht selbstverständlich“, weiß Richard Vogel.
Er und sein Geschäftspartner David Will finanzieren sich mit ihrer Firma VW Equestrian zuallererst durch den Pferdehandel. „Das ist unser Geschäft, davon leben wir, das ist wichtig für uns. Aber um diesen Sport auch längerfristig betreiben zu können, ist es auch wichtig, dass man so Leute hinter sich hat wie eben Familie Tracy. Oder auch Julius Peter Sinnack, der auch schon ganz verlockende Angebote für United bekommen hat, der zum Glück ganz ruhig bleibt und mit uns den langen Weg gehen und United auch behalten will. Nur so sind solche Ziele zu verwirklichen. Da kann man den Leuten gar nicht genug danke sagen.“
Das nächste große Ziel ist Olympia 2024 in Paris.
„Natürlich ist es auch mein absoluter Traum, bei den Olympischen Spielen zu reiten. Es ist natürlich noch ein langer Weg. Erst mal im Olympia-Kader zu sein, darauf bin ich natürlich stolz. Der Weg dorthin ist mit viel Arbeit und Fleiß verbunden. Jetzt liegt es an mir, einen guten Plan zu entwickeln, damit die Pferde zum richtigen Zeitpunkt auch gut drauf sind“, fasst es Richard Vogel zusammen.
Damit das auch klappt, die Pferde den Spaß am Sport lange behalten, muss man in sie hinein hören können, findet Vogel, vielleicht auch mal wieder kleinere Springen reiten: „Cepano und United Touch sind total unterschiedlich. Cepano muss immer so ein wenig im Turnier-Modus bleiben. Er hat zwar jetzt eine längere Pause, aber er ist generell eher ein Pferd, das nach ein oder zwei längeren Pausen den Rest des Jahres über in Gange bleibt. Wenn er ein bisschen eingerostet ist, dann dauert es für ihn etwas länger, bis er wieder reinkommt. Er braucht unheimlich viel Vertrauen und Unterstützung seines Selbstbewusstseins. Das hat United von Natur aus viel mehr. United kann das gut ab, wenn er mal fünf bis sechs Wochen kein Turnier hat, das macht ihm nichts aus. United reite ich gar nicht so viel Turnier. Der hat kein Problem mit hohen Sprüngen, am Vermögen scheitert es da nie. Den müssen wir zu Hause gut arbeiten, gut gymnastizieren, dann klappt es auf dem Turnier auch. Wenn wir die Hausaufgaben nicht gut machen, die Rittigkeit nicht so da ist, dann kommt es auf Turnieren manchmal zu Problemen.“
Die großartige Entwicklung des großen dunkelbraunen Untouched-Sohnes hat auch Vogel überrascht. Als er auf einem Turnier in Lier gefragt wurde, ob er den Hengst reiten würde, guckte Vogel erst einmal in die Ergebnislisten. Ein zweiter Platz bei den Bundeschampionaten und ein Start in Aachen machten zwar Hoffnung auf mehr, oft kam der imposante Westfale mit dem großen Galopp aber auch mit Zeitfehlern aus dem Parcours. „Zuviel Galopp, zu viel Go“, war die Meinung einiger Kollegen. Vogel erinnerte sich an die Worte von Hugo Simon. „Er hat gesagt, zu viel Galopp oder zu viel Power gibt es nicht“, lacht Vogel heute. Und der Österreicher hatte offenbar Recht.
Sein Pferde-Gen hat Richard Vogel von seiner Mutter geerbt. „Sie war eine Pferdefrau, ist mit uns Kindern zum Reiten gegangen. Auch mein Opa hat Pferde gezüchtet“, erinnert sich Vogel, der in der Nähe von Ulm geboren ist. Als Richi gerade zwölf Jahre alt war, starb seine Mutter. Die Kindheit war jäh beendet. Auch um den Vater mit seinem Zimmereibetrieb zu entlasten, musste er schnell erwachsen werden, Verantwortung für seine Schwester und seine zwei jüngeren Brüder übernehmen. Das hat ihn geprägt.
Heute ist Richard Vogel jemand, der gerne alles hinterfragt, der auch mal gegen den Strom schwimmt, die Zügel gerne selbst in die Hand nimmt. „Ich hatte zum Beispiel nie einen richtigen Trainer. Ich mache mir gerne mein eigenes Bild, meinen eigenen Plan“, erzählt er. Natürlich hat er bei Bernd Herbert eine ordentliche Bereiter-Lehre absolviert, hat er viel in seiner Zeit als Bereiter im Stall von Ludger Beerbaum gelernt. „Als ich mich danach selbstständig machte, haben mich viele für verrückt erklärt, auch meine Freunde“, erinnert sich Vogel. Die Sorge war zum Glück unbegründet. Vogel vertraut seinem Instinkt und hat damit oft Recht. Er brennt für den Sport, guckt rechts und links, liebt es, Leute zu beobachten: „Wenn der Trainer dir einen Plan für den Parcours macht und dieser am Ende nicht aufgeht, weißt du nicht, ob es am Plan des Trainers lag, oder daran, dass du schlecht geritten bist.“ Natürlich bespricht er sich auch mit Kollegen und macht es dann doch auf seine Weise. „Wenn 39 Reiter sagen, sie machen sieben Galoppsprünge, und da kommst du als Jungspund und sagst, ich mache aber sechs, kann das schon mal überheblich wirken“, schmunzelt Vogel. Nicht so, wenn der Plan aufgeht, wie im Rolex Grand Prix in Genf. Dann finden das alle genial.
„Ich bin total risikofreudig, nur nicht, wenn es ums Geld geht“, verrät der sparsame Schwabe, dem Verschwendung zuwider ist. Das wird auch bei seinem Lieblings-Hobby deutlich. „Ich habe dieses Jahr schon 15 Pferde eingeritten. Das ist vielleicht unvernünftig, aber es macht mir riesigen Spaß, ich liebe das, und wenn man mit Geduld und Gefühl an die Sache heran geht, ist es auch gar nicht so gefährlich“, erzählt Vogel. Auch wenn er dringend davon abrät, es ihm gleich nach zu tun. Natürlich könnte er die jungen Pferde auch zum Anreiten weggeben, das Risiko für sich selber minimieren. Aber dann wüsste er nicht, ob die Pferde auch in seinem Sinne ausgebildet werden. „Es darf nichts Schlimmes passieren. Die Pferde müssen Vertrauen haben“, erklärt Vogel. Jedes Jahr kaufen er und David Will rund 15 Fohlen, damit es auch ordentlich Nachwuchs in ihren Ställen in Dagobertshausen und Pfungstadt gibt. „Beim Kauf der Fohlen gucke ich auf die Mutterlinien, schaue, wie viele erfolgreiche Pferde schon aus den Linien kommen“, erklärt er seine Leidenschaft.
Ganz neu ist seine Rolle beim International Jumping Riders Club. In der Springreiter- Vereinigung ist Vogel neu im Vorstand, als Nachfolger von Ludger Beerbaum. „Ich finde es wichtig, dass wir Reiter uns einmischen, für unsere Belange und Interessen kämpfen“, findet Vogel, der sich selber als „Team-Player“ beschreibt. Nur so würde auch das Team um ihn, David Will und Sophie Hinners, funktionieren. „Der Team-Gedanke ist bei uns enorm wichtig. Wir bekommen bald noch eine sehr, sehr gute Reiterin dazu. Man ist als Team stärker, als wenn man als Einzelkämpfer unterwegs ist.“
16 Mitarbeiter gehören zum Team Will und Vogel. Sie drehen ein großes Rad. Das bringt viel Verantwortung mit sich.
Und was wünscht er sich für 2024?
„Ich bin eigentlich niemand, der sich viel wünscht im Leben. Weil ich früh gelernt habe, dass, wenn ich etwas möchte, das meistens auch erreichbar ist. Aber ich muss auch selber was dafür tun. Wenn ich jetzt irgendeinen Wunsch habe, dann würde ich behaupten, gibt es meistens auch eine Lösung oder ein Weg, wie man dessen Erfüllung erreichen kann. Ich bin keiner, der jetzt irgendwelche Wünsche äußert und erwartet, dass andere Personen diese für einen erfüllen.“
Und wie sieht es mit Weihnachtswünschen aus?
Richard Vogel schmunzelt: „Ich bin ein schlechter Wünscher und noch ein schlechterer Schenker, zu Ungunsten von Sophie. Wir können uns ja nicht beklagen. Wir haben alles, was wir brauchen, wir sind gesund. Es könnte uns schlechter treffen. Von daher haben wir kaum Wünsche offen im Moment.“
Richard Vogel gibt Gas. Bei allem was er tut. Auch mit seinem Mercedes ist er gerne schnell unterwegs. Den Führerschein war er deshalb auch schon mal los. „Hoffentlich war es das letzte Mal, aber ich würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen“, lacht Richi Vogel. Langsam bleibt für ihn keine Option.
Text und Interview: Corinna Philipps