Die „Genomische Selektion“ wurde vor einigen Jahren bei den Pferdezüchtern als neuartige Zuchtmethode heiß diskutiert. In der Rinderzucht hatte man damit erstaunliche Zuchtfortschritte erzielen können – warum nicht auch bei den Pferden? Nun, bei Pferden ist manches anders als bei Rindern. Da haben die Kritiker durchaus recht. Aber die grundsätzlichen Gesetze der Vererbung gelten für alle Lebewesen, bei einigen sind die Zusammenhänge einfacher, bei anderen komplizierter.
Das genetische Material des Fohlens stammt zu 50 % vom Hengst und zu 50 % von der Stute. Dennoch sind es nicht immer die gleichen DNA-Abschnitte, die an die Fohlen weitergeben werden. Welche Abschnitte des genetischen Materials vererbt werden, entscheidet der Zufall. Nachkommen aus der gleichen Verpaarung sind daher keineswegs genetisch identisch. Und dass Vollgeschwister sehr unterschiedlich ausfallen können – das kennt ja jeder aus seiner eigenen Familie. Beim Pferd ist das nicht anders als beim Menschen. Und bei beiden kann ein genetischer Fingerabdruck oder ein genomisches Profil dann die Genvariante zeigen, die tatsächlich von den Eltern vererbt wurde.
Ende 2016 gründeten mehrere Pferdezuchtverbände die „International Association of Future Horse Breeding GmbH & Co.KG (IAFH)“, um die Forschung auf dem Gebiet der Genomik und genomischen Selektion zu unterstützen und voranzubringen.
Das entschlüsselte Genom
Doch zuerst: Woher kommt plötzlich so ein neues Selektionsverfahren, das es früher nicht gab? Nun, das hängt mit den Fortschritten in der Genforschung zusammen, die selber wieder untrennbar mit den enormen Leistungssteigerungen der Datenverarbeitung verbunden sind. Ich erspare Ihnen die technischen Einzelheiten – wesentliche Ergebnisse sind ein immer besser entschlüsseltes Genom sowie vor allem auch breit einsetzbare, erschwingliche Verfahren, genomische Profile zu erstellen. Mehr Pferde mit genomischen Profilen bedeuten mehr Möglichkeiten, sie über Forschungsarbeiten lesen zu lernen: Welche Stellen sind von Bedeutung für eine bestimmte Erkrankung? Welche Muster deuten auf eine besondere Veranlagung für Dressur oder Springen? Da gibt es sicherlich viele verschiedene Einflussfaktoren, die mit der Erbanlage direkt nichts zu tun haben. Dennoch: Gar so abwegig ist es nicht, dass uns genomische Profile künftig auch Hinweise auf Leistungsveranlagungen gegeben können.
Fellfarbe ist planbar
Schon jetzt und sehr einfach können wir unser Wissen zu einigen wichtigen Stellen in den genomischen Profilen nutzen – beispielsweise im Bereich der Farbgenetik. Ob ein Pferd Fuchs, Rappe oder Brauner wird, entscheiden zwei Genorte. Man kennt bestimmte Aufhellungsgene usw. All dies ist nicht neu, aber dadurch, dass sich genomische Profile heute so einfach erstellen lassen, ist es für die Zuchtplanung direkt nutzbar. Warum nicht testen lassen und damit Gewissheit erlangen, ob beispielsweise wirklich kein Fuchsfohlen aus einer Anpaarung der eigenen Stute hervorgehen kann?
Je nach Genotyp kann beispielsweise bei der Anpaarung einer Fuchsstute mit einem Rapphengst ein Rappfohlen garantiert sein. Sind beide Eltern Füchse, gibt es ein Fuchsfohlen. Das wussten wir schon – da brauchen wir keinen Gentest. Sind beide Eltern aber Rappen, gibt es bei leibe nicht immer ein Rappfohlen. Das musste ja auch Otto Gärtner feststellen, als Donnerhall geboren wurde. Eigentlich hätte Otto lieber einen Rappen gehabt, denn das war seine Idee hinter der Anpaarung seiner Rappstute Ninette mit dem Rappen Donnerwetter. Hätte er einen Gentest von Vater und Mutter gehabt, dann hätte er gewusst, dass diese Paarung auch Fuchsfohlen bringen kann. Vielleicht hätte er dann einen anderen Hengst genommen. Gut, dass er das nicht gemacht hat.
Klein oder groß?
Und wie sieht es mit der Größe aus? Den erheblichen Einfluss der Genetik auf die Körpergröße wird wohl kaum jemand in Frage stellen. Die Forschung hat gezeigt, dass einige wenige Gene schon sehr gut Aufschluss darüber geben, ob das Stockmaß eher XS oder vielleicht XXL ausfällt. Faktoren wie die Ernährung oder eine Infektion in der Wachstumsphase können zwar bewirken, dass ein Pferd mit der genetischen Veranlagung, groß zu werden, auch mal klein bleiben kann. Aber in der nächsten Generation kommt, wenn nicht wieder schlechte Aufzucht oder Krankheit dazwischenfunken, die Genetik wieder zum Zuge.
Und hier kommt der neue Gentest ins Spiel: Habe ich beispielsweise eine relativ kleine Stute (aus einer sonst normal großen Stutenfamilie), so kann ich per Gentest herausfinden, ob diese Stute nun einfach Pech hatte und von irgendeinem Vorfahren „kleine“ Gene mitbekommen hat oder ob sie vielleicht krankheitsbedingt eine längere schlechte Phase hatte, die das eigentlich genetisch fixierte Größenwachstum gehemmt hat. Im ersten Fall ist die Stute eventuell in der Ponyzucht besser aufgehoben – im zweiten Fall kann ich bei der Stute trotz geringer Körpergröße auf große Nachkommen vertrauen.
Und so einfach geht’s: Über ihren Online-Account haben die Züchterinnen und Züchter der IAFH-Mitgliedsverbände Zugriff auf den eigenen Pferdebestand und können ganz einfach online die gewünschte Analyse beauftragen.
Dr. Heiko Meinardus