Christian Kukuk surft auf der Erfolgswelle. Kaum ein anderer Springreiter in Deutschland hat in den letzten Monaten so konstante Leistungen gezeigt, Nationenpreise und Große Preise in Serie gewonnen wie der 34-Jährige. Nur natürlich, dass er als Mitglied im Olympia-Kader sehr große Chancen auf eine Teilnahme bei den Olympischen Spielen in Paris in diesem Sommer hat. spring-reiter.de hat mit der aktuellen Nummer 13 der FEI Weltrangliste vor dem Start in Rotterdam diese Woche über seine vierbeinigen Superstars, Erfolgsdruck und Horse Welfare gesprochen, und er hat uns verraten, warum es so wichtig ist, Erfolge auch gebührend zu feiern.
Christian Kukuk hat die Qual der Wahl, oder, anders ausgedrückt, ein Luxusproblem. Aktuell kann der Mannschafts-Vize-Europameister von 2021 auf drei potentielle Championats-Pferde zurückgreifen. Das war nicht immer so. Als der Bereiter der Ludger Beerbaum Stables Ende 2021 das erste Mal in die Top 20 aufstieg, glaubte er noch an einen Druckfehler. Die Zeiten sind lange vorbei.
„Ich bin mega gut beritten, das war in meiner Karriere bisher noch nie so gut wie derzeit“, freut sich Kukuk. Sein klares Ziel ist Paris. Für ihn wären es nach Tokio bereits die zweiten Olympischen Spiele.
„Ich bin ja in der mega komfortablen Situation, dass ich drei Pferde habe, die in Frage kämen. Just be Gentle ist natürlich die Jüngste von den Dreien, aber nichtsdestotrotz von ihrer Grundqualität her immer in der Lage, da mitzumachen, das hat sie auch letztes Jahr mehrere Male bewiesen. Die anderen Beiden sind natürlich einen Tick routinierter. Mumbai ist schon mehrere Championate gegangen. Der kennt das alles aus dem FF und fühlt sich super an im Moment. Er hat mit der Mannschaft den Nationenpreis in Abu Dhabi gewonnen, gewann eine Qualifikation in Miami. Der ist super drauf. Und Checker hat gefühlt alles in Grund und Boden gesprungen. Ich weiß gar nicht, ob er irgendeinen Großen Preis nicht Null gesprungen ist im letzten halben Jahr. Der hat das Nationenpreisfinale in Barcelona gewonnen, der hat in Riad den Großen Preis gewonnen, der war Dritter im Rolex Grand Prix in Genf. Er ist in Doha zwei Wochen Null gesprungen. Er hat in Wellington den Großen Preis gewonnen, hat kürzlich in Madrid den Grand Prix gewonnen. Der ist natürlich auf einer unfassbaren Welle im Moment unterwegs. Und diese Welle hoffe ich, natürlich noch etwas mitnehmen zu können“, fasst Kukuk das Potential seiner vierbeinigen Superstars zusammen.
Eine unglaubliche Erfolgs-Story, und manchmal muss sich Christian Kukuk selber kneifen. „Ja, tatsächlich bin ich selber manchmal etwas sprachlos“, gesteht der gebürtige Warendorfer, dessen Opa Hauptsattelmeister am Landgestüt in Warendorf war und dessen Mutter für das Deutsche Olympiade Komitee für Reiterei (DOKR) arbeitete.
Heute ist es fast überraschend, dass der Spitzenreiter lange immun gegen das Pferde-Virus war. „Ich wollte immer Fußballspieler werden, spielte erfolgreich im Verein“, lacht Kukuk, der ein riesiger Bayern München Fan ist. Weil seine Eltern und die Schwester aber ritten, musste er immer mit in den Stall. „In unserer Familie drehte sich alles um Pferde“, erinnert sich Kukuk. Und dann „infizierte“ er sich doch: Mit 13 Jahren begleitete er den Vater öfter zu Turnieren. Irgendwann wollte er es selber versuchen und fing mit Longen-Stunden bei seiner Mutter an.
Der Ehrgeiz packte ihn. „Wenn ich etwas mache, dann zu 100 Prozent“, bringt es Christian Kukuk auf den Punkt. Als er seine Eltern damit konfrontierte, dass er das Reiten auch zum Beruf machen wollte, stieß das zuerst auf wenig Gegenliebe. Kukuk machte sein Abitur und hängte nach einem Kompromiss mit den Eltern noch eine Lehre als Industriekaufmann hinten dran. Zuhause hoffte man, er würde anschließend studieren. Aber Christian hatte andere Pläne. „Ich habe meinen Eltern gesagt, wenn ich irgendwohin gehe, dann zu Ludger. Der war immer mein Vorbild.“ Ein kühner Wunsch. Schließlich war Christian Kukuk bis dahin weder im Kader noch hatte er sich sonst schon einen Namen im Springsattel gemacht.
„Ich habe junge Pferde auf nationalen Turnieren geritten, war ein totaler No Name.“ Mutig griff er zum Telefon und rief Ludger Beerbaum persönlich an. „Er war total offen, hat gesagt, dann komm doch mal vorbei.“ Der Rest ist Geschichte.
Christian Kukuk traut sich was und ist reflektiert. „Ich bin sehr selbstkritisch und ehrlich mit mir selbst. Für mich persönlich versuche ich die Dinge immer ganz klar zu sehen und mir da auch nichts vorzumachen. Und wenn es nicht läuft, bin ich enttäuscht, und wenn es gut läuft, dann freue ich mich aber auch. Das gehört ja auch dazu. Das Emotionale macht am Ende unseren Sport ja auch aus. Wenn man anfängt, nur noch in einen Trott zu kommen und alles ist nur noch gleich, egal ob es schlecht oder gut war, wo ist dann der Spaß und der Kick an der ganzen Sache. Es muss Scheiße sein, wenn es Scheiße ist, und es muss geil sein, wenn es geil ist“, findet Christian Kukuk.
Hat er bei seinem Turnier- und Reise-Pensum rund um den Globus überhaupt noch Zeit, das alles zu genießen, Zeit, einen Sieg auch gebührend zu feiern?
„Ja, das ist tatsächlich nicht immer so ganz einfach. Aber ich versuche schon, die Siege so zu feiern, wie sie auch fallen. Ich glaube, das ist tatsächlich auch ganz wichtig. Das man einmal den Kopf ausschaltet und das auch versucht zu genießen und mit den Leuten feiert, die sich mit einem freuen. Es wäre schlimm, wenn man in so eine Phase gerät, wo man einen Großen Preis gewinnt und dann abends nach Hause fährt und im Kopf schon wieder beim nächsten Turnier und nächsten Wochenende ist. Daher versuche ich auch, Erfolge wirklich zu feiern und zu genießen.“
Und wie hoch ist der Druck, vor Olympia in Paris, immer Null gehen zu müssen?
„Klar ist Paris derzeit immer im Hinterkopf, aber man darf sich da jetzt auch nicht so drauf versteifen. Ich habe sowieso für mich den Anspruch, jedes Wochenende das Beste aus dem Tag und meinen Ritten zu machen. Ich gehe nicht an jedes Springen heran und will das auch gewinnen. Natürlich, wenn es ein Nationenpreis oder ein Großer Preis ist, dann will ich das gewinnen. Aber es gibt natürlich auch andere Springen zu Trainings-Zwecken, da habe ich eine Idee, wie sich das anfühlen sollte, und das versuche ich zu erreichen. Da ist es auch egal, ob es Olympia ist oder ein 2-Sterne Turnier. Das ist mein Naturell, dass ich auf irgendeine Art und Weise immer zu 100 Prozent abliefern will. Für mich persönlich. Nicht für irgendjemand anderes.“
Damit die Pferde gesund bleiben und weiter die Freude am Springen behalten, muss ein dosierter Turnier-Plan her. Diesen Plan stimmt Kukuk mit seinem Chef Ludger Beerbaum und Bundestrainer Otto Becker ab. „Gerade in den letzten zwei Jahren haben wir bei uns im Stall und auch ich erlebt, dass man alles sonst wie gut planen kann, und dann passiert plötzlich etwas und auf einmal muss alles neu geplant werden. Das ist bei mir viel passiert, weil sich meine Kollegen alle verletzten“, erinnert sich Christian Kukuk. Dank auch seines flexiblen Einsatzes und seinen konstant guten Leistungen sicherte sich das Riesenbecker Global Champions League Team 2023 den Gesamtsieg der Tour.
Christian Kukuk ist ein Team-Player. Auch deshalb findet er die neuen Regeln, bei den Olympischen Spielen nur noch mit drei Reitern ohne Streichergebnis pro Team zu starten, „schwierig“.
„Das hat mit Horse Welfare nichts zu tun. Ich finde es total schade, dass es so gekommen ist. Es braucht ja nur eine Kleinigkeit zu passieren, in Tokio haben wir es erlebt. Da sind zwei Reiter den Parcours zu Ende geritten, obwohl man nach normalen Maßstäben eigentlich hätte sagen müssen, wir machen hier jetzt nicht weiter. Auf der anderen Seite waren da die Japaner, bei denen sich auf dem Abreiteplatz ein Pferd aus dem Team erschreckt hat, zur Seite sprang und sich einen kleinen Ratscher am Ständer holte. In der Folge durfte der Reiter nicht an den Start gehen und das ganze Team war ausgeschieden. Das sind Momente, die gehören dazu im Sport. Aber wenn dann auf so einem Championat ein ganzes Team eliminiert wird, die ganze Arbeit, die da im Vorfeld geleistet wurde, einfach weg ist, das finde ich einfach unfair.“
Macht es ihm Sorgen, dass es gefühlt immer mehr Leute gibt, die den Reitsport komplett abschaffen wollen?
„Sorgen ist vielleicht etwas übertrieben, aber wir sollten natürlich schon alle in besonderem Maße auf jeden Fall Acht geben und das im Hinterkopf haben. In Deutschland wird der Sport deutlich kritischer gesehen als in anderen Ländern, in denen ich unterwegs bin“, findet Christian Kukuk. Er schwärmt von der Begeisterungsfähigkeit der Amerikaner, die er bei seinen Turnieren in diesem Jahr in Ocala, Wellington und Miami gespürt hat: „Da waren Zuschauer, die mit Reitsport eigentlich nichts am Hut haben, sich aber total begeistern konnten, es toll fanden. Diese Begeisterung von Menschen, die eigentlich gar keinen Bezug zum Reitsport haben, das aber dann trotzdem toll finden und sich mitreißen lassen, das fehlt mir so etwas in Deutschland.“
Diese Woche steht für Christian Kukuk Rotterdam mit der letzten League of Nations Etappe der Saison am Freitag im Turnier-Kalender. Das ist für Team Deutschland auch ein letzter Stress-Test vor den Olympischen Spielen in ein paar Wochen. Die Aufstellung in Rotterdam ist für Christian Kukuk ein gutes Signal. Der Bundestrainer Otto Becker hat im Vorfeld die Losung ausgegeben, dass das deutsche Team beim Nationenpreis in den Niederlanden zu den Favoriten für die Startplätze in Paris gehört. Natürlich müssen bis dahin alle noch einmal ihre Top-Form beweisen und gesund bleiben. Christian Kukuk reist mit Checker und Just be Gentle in die Niederlande. Um wieder 100 Prozent zu geben – und mit Paris fest im Blick.
Text und Interview: Corinna Philipps