Wahnsinn! Christian Kukuk geht als erster Starter ins Stechen um die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen im Schlosspark von Versailles, legt mit Checker (v. Comme il faut) fehlerfreie 38,34 Sekunden vor – und gewinnt das erste deutsche Spring-Gold seit 1996, die 100. deutsche Pferdesport-Olympiamedaille! Ganz leise sang er bei der Siegerehrung die Deutsche Nationalhymne mit. „Das ist ein unglaublich emotionaler Moment für mich. Ich bin überglücklich“, versuchte der Olympia-Sieger seine Meisterleistung in Worte zu fassen.
Die Parcoursbauer hatten eine Punktlandung geschafft: 15 Hindernisse mit 19 Sprüngen hatten sie für die 30 Besten aufgebaut, die sich für das Finale qualifiziert hatten, eine extreme Herausforderung für Reiter und Pferde – und am Ende kamen genau drei Fehlerfreie ins Stechen um die drei Medaillen.
Eigentlich hätte Philipp Weishaupt mit Zineday (v. Zinedine) als 30. aus der Qualifikation den Umlauf eröffnen sollen. Aber weil Harry Charles‘ Partner Romeo nicht fit war, verzichtete der britische Mannschafts-Olympiasieger auf den Start im Finale und Nummer 31, Mario Deslauriers, rückte mit Emerson nach, kam mit zwei Abwürfen ins Ziel.
Also Philipp Weishaupt als Zweiter im Parcours. Alles läuft super, bis die obere Stange in der Zweifachen Kombination, Sprung 5b, fällt. Am Ende addiert sich für ihn mit Zineday noch ein Zeitfehler hinzu, was Rang 12 im Ergebnis bedeuten wird.
Als achter Starter reitet Christian Kukuk voll konzentriert mit Checker ein. Der 34-Jährige zaubert mit dem Schimmel die erste Null in den Sand – und qualifiziert sich fürs Stechen! Nach dem Ausritt sagte er: „Der Parcoursaufbauer hat selbst vorher gesagt, er hat noch nie so einen Parcours aufgebaut. Ich habe noch nie so einen Parcours gesehen, mit 15 Nummern und 19 Hindernissen am Ende. Das ist wirklich irre und ich bin nur unfassbar glücklich und einfach nur stolz auf Checker, wie einfach er sich das auch gemacht hat. Es hat sich am Ende gar nicht so schwer angefühlt, wie es tatsächlich ist. Das zeichnet ihn aus, das macht er seit einem Jahr einfach schon, jedes Wochenende gefühlt, und ich bin unglaublich stolz, dass er es heute auf den Punkt gebracht hat. Das Gefühl jetzt werde ich auf jeden Fall mitnehmen und nicht vergessen – was auch immer dabei herumkommt.“
Da wusste er schließlich nicht, dass Gold dabei herauskommen wird.
Von Mannschafts-Olympiasieger Ben Maher und Laura Kraut bis Max Kühner hatten vor ihm schon stärkste Konkurrenten nicht fehlerfrei die Runde absolvieren können, wobei es bei Laura Kraut und Max Kühner jeweils das letzte Hindernis war, das fiel.
Zwei nach Christian Kukuk kam der Niederländer Maikel van der Vleuten auf Beauville Z (v. Bustique) als Zweiter fehlerfrei über alle Klippen. Damit stand fest, dass es ein Stechen um Gold geben wird. Aber es sollte dann doch nur noch einen dritten Starter für das Finale geben, und auf den musste man lange warten. Denn weder US-Reiter Karl Cook noch der junge Belgier Gilles Thomas schafften die Null, genauso wenig wie Rodrigo Pessoa bei seinen achten Olympischen Spielen, der nach seinem zweiten Fehler an Sprung 5b mit Major Tom vorzeitig das Rennen beendete.
Eine Schrecksekunde gab es beim Ritt des größten Favoriten: Henrik von Eckermann war ungewöhnlich intensiv am Zügel seines King Edward nach dem Wasser tätig, kam irgendwie anschließend noch fehlerfrei über die Sprünge sieben und acht – und dann war die Kontrolle dahin. King Edward rannte auf die Bande zu und setzte seinen Reiter ab. Beide verließen unverletzt den Parcours zu Fuß nebeneinander. Der Reiter erklärte es hinterher so: „Er ist auf der ersten Linie bis zur Kombination fantastisch gesprungen. Vielleicht war es ein bisschen eng auf dem Wasser, so dass ich nicht die sechs Galoppsprünge bis zum Paris-Hindernis geschafft habe, die ich wollte. Dort kam ich aus dem Rhythmus. Ich hatte so viel Schwung nach vorne, dass ich ihm bei der Landung nach rechts folgen wollte, um in die Kurve zu kommen. Nur für eine Millisekunde macht er etwas nach links, und weil ich mit meinem Gleichgewicht nach rechts bin, was ich nicht sein darf, verliere ich mein Gleichgewicht nach rechts, und vermutlich bringt ihn das aus der Fassung. Er geht noch mehr nach links, ich versuche, ihn zurückzubekommen, aber dann sind diese Fänger für die Startlinie im Weg.“
Erst Europameister Steve Guerdat, der mit Dynamix de Belheme unmittelbar nach Henrik von Eckermann einritt, schaffte in gewohnt souveräner Manier die dritte Nullrunde und machte die Besetzung fürs Stechen komplett. In der Mannschafts-Qualifikation am Donnerstag hatten die Beiden noch völlig unübliche zwei Abwürfe eingesammelt und dazu beigetragen, dass Team Schweiz sich nicht fürs Mannschaftsfinale qualifizieren konnte. Steve Guerdat ist dann in der Zwangspause bis Samstag mit seiner Dynamix de Belheme dann erst einmal viel draußen entspannt geritten, um sie wieder aufzubauen – mit Erfolg.
310 Meter lang war der verkürzte Stechparcours, sieben Hindernisse mit acht Sprüngen und herausfordernden Wendungen warteten auf die Drei. Christian Kukuk musste anfangen und er tat es, aber wie: Enge Wendungen, viel Galopp – und nach 38,34 Sekunden war er mit Checker fehlerfrei im Ziel! Das setzte die Konkurrenten unter Druck. Als Nächster folgte Maikel van der Vleuten. Sein Beauville Z ließ am Aussprung der jetzt Zweifachen Kombination, die von der Dreifachen übrig geblieben war, eine Stange aus der Auflage rollen, kam nach 39,12 Sekunden ins Ziel und fügte damit seiner Bronzemedaille von Tokio 2021 die nächste Bronzemedaille hinzu. Aber es folgte ja noch der Olympiasieger von 2012. Steve Guerdat nahm die Herausforderung an, zirkelte ähnlich eng wie Christian Kukuk durch die Wendungen, doch am vorletzten Hindernis fiel auch bei ihm eine Stange. 38,38 Sekunden zeigte die Uhr im Ziel, also auch ohne Abwurf wäre es Silber für ihn geworden.
Philipp Weishaupt hatte nach seinem Final-Ritt resümiert: „Den olympischen Auftritt in Paris haben wir uns ein bisschen anders vorgestellt. Wir sind super in das Turnier gestartet. Und dann hab ich leider ein bisschen abgebaut. Gestern mit dem Fehler, das war halb so schlimm, das kann mal passieren. Heute kann ich mir auch keinen Vorwurf machen, ich bin gut hingeritten. Einfach ein blöder Fehler, allerdings ist man dann natürlich weg, dann wird das mit der Medaille nichts. Sehr sehr bitter für mich die Woche, ich hatte mir absolut mehr ausgerechnet, aber so ist der Sport.“
Der strahlende Sieger freute sich: „Checker ist der einzige, der zweimal mit Null eingecheckt hat, deshalb ist das, glaube ich, mehr als verdient. Das ist ein sehr emotionaler Moment. Ich muss das auch erstmal noch realisieren und sacken lassen. Das ist unfassbar. Paris ist ein spezieller Ort für mich. Ich habe hier besondere Erinnerungen mit meiner Mutter, die heute von oben zuguckt. Alle Menschen, die mir nahestehen, sind hier, die ganze Familie im engsten Kreis, meine Schwester, meine Freundin, mein bester Freund, Tanten, Onkel, Cousinen, Cousins. Es sind wirklich alle da und können das mit mir teilen. Ich bin überglücklich, das mit ihnen heute auch teilen zu dürfen und ihnen für die ganze Unterstützung, die sie mir entgegenbringen und das ganze Verständnis, das sie aufbringen, wenn ich mal keine Zeit habe, dass ich da heute auch mal ein Teil davon zurückgeben kann.“
Die deutschen Reiter ingesamt jedenfalls können für die Olympischen Spiele in Paris eine Bilanz wie schon seit vielen Jahren nicht mehr ziehen: In allen drei Disziplinen Einzelgold – für Christian Kukuk im Springen, für Jessica von Bredow-Werndl in der Dressur und für Michael Jung in der Vielseitigkeit – dazu Einzelsilber für Isabell Werth und Mannschaftsgold für die Dressurreiter. Chapeau!
Das komplette Ergebnis im Springreiten hier