„Nach den Olympischen Spielen habe ich mich nicht wie die Nummer eins gefühlt, sondern eher wie die Nummer 150.“ Interview mit dem Weltranglistenersten Henrik von Eckermann

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Er hat schon längst Geschichte geschrieben: Henrik von Eckermann ist der beste Springreiter der Welt und das seit fast zweieinhalb Jahren. Ehrgeizig, fleißig, selbstkritisch, immer pro Pferd und mit dem unbedingten Siegeswillen führt er das FEI Ranking in Rekordzeit an, ist amtierender Doppel-Weltmeister, Mannschafts-Europameister, Weltcup-Sieger, Mannschafts-Olympia-Sieger von Tokio. Der Schwede ist bereits solange die Nummer eins, dass es schon mal vorkommt, dass er die Armbinde des Führenden vergisst. Oder sie absichtlich weglässt, weil das eigene Gefühl gerade etwas anderes sagt. spring-reiter.de hat mit Henrik von Eckermann, der mit seiner Familie im niederländischen Kessel einen eigenen Turnier-Stall betreibt, über Ehrgeiz, harte Niederlagen, die tägliche Motivation, die Ausbildung der Pferde und das wirklich Wichtige im Leben gesprochen. Und der 43-jährige Schwede hat verraten, was der Schlüssel auf dem Weg nach oben ist. 

spring-reiter.de: Du bist seit fast zweieinhalb Jahren die unangefochtene Nummer 1 der Welt. Du hast gefühlt alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt…

Henrik grinst: „Nein, gar nicht. Es gibt noch so unglaublich viel zu gewinnen. Ich war zum Beispiel noch nie Einzel-Europameister, Einzel-Olympiasieger, habe die Großen Preise von Aachen und Genf nicht gewonnen. Das steht noch sehr viel mehr auf meiner Liste.“ 

Nichtsdestotrotz bist Du seit beinahe 2,5 Jahren der erfolgreichste Reiter der Welt, wie schaffst Du es, Dich immer wieder aufs Neue zu motivieren?“ 

Henrik: „Also, ich muss sagen, auch wenn es auf der Armbinde steht, fühle ich mich nicht jedes Mal wie der erfolgreichste Springreiter. Da gehe ich mehr nach meinem Gefühl als nach den Punkten. Sicher ist, nach Olympia habe ich mich nicht so gefühlt wie die Nummer 1, sondern eher wie die Nummer 150. Aber ich glaube, meine Stärke ist auch, mich immer wieder aufs Neue motivieren zu können. Ich bin immer motiviert, jeden Tag, ich liebe das, was ich mache. Klar bin ich auch richtig ehrgeizig. Trotzdem ist es der Weg zum Erfolg, der mir Spaß macht. Die Arbeit zuhause mit den Pferden, unserem Team, mit meiner Frau, das ist eine unheimlich coole Sache und dafür brenne ich. Die Motivation ist mein geringstes Problem.“

„Ab und an“, gibt von Eckermann, der von 2004 bis 2016 bei Ludger Beerbaum im Stall angestellt war, im Gespräch zu, hat er die Armbinde des Führenden der Weltrangliste auch schon mal vergessen. „Aber gerade nach Olympia war mein Gefühl auch, dass ich die Armbinde nicht so richtig verdient habe. Ich musste mich wieder motivieren und mir die Armbinde neu verdienen.“

Du hast Paris angesprochen, da warst du natürlich einer der Favoriten, und dann bist zu nach einem Missverständnis mit King Edward und anschließendem Sturz im Finale ausgeschieden. Wie gehst Du mit so einer Situation um?“

Henrik: „Sicher war ich sehr enttäuscht von mir selber. Das hatte ich mir natürlich auch anderes erhofft. Die meisten dachten, dass ich enttäuscht davon bin, wie es zu Ende gegangen ist, aber für mich war das egal, das Ergebnis war einfach nicht da. Bei den Olympischen Spielen sind die Anforderungen extrem hoch und am Ende zählen nur die Plätze eins, zwei und drei. Alles andere ist eigentlich uninteressant. Ich war zum Beispiel Vierter in der Einzelwertung in Tokio, daran kann sich heute niemand mehr erinnern. Dementsprechend war das Ergebnis in Paris am Ende einfach nicht da. Ich hatte mit Sicherheit große Hoffnungen, gerade mit so einem Pferd, das zudem in Top-Form war, ich habe ein super Gefühl gehabt. Dass es dann nicht geklappt hat, ist bitter, und klar habe ich ein paar Tage gebraucht, das zu schlucken. Aber dann versuche ich solche Sachen, die ich nicht mehr ändern kann, auch abzuhaken. Ich kann es sowieso nicht ändern und muss nach vorne gucken, auch damit mich diese Sache nicht weiter negativ beeinflusst in der Zukunft. Es hilft nichts, ich habe das alles genau analysiert, und diese Sachen, von denen ich weiß, dass sie falsch liefen, nehme ich mit und der Rest ist einfach Vergangenheit und ich schaue nach vorne.“

Woher nimmst Du nach einer so großen Enttäuschung die Kraft?

Henrik von Eckermann: „Also, ich muss sagen, dass ich nach dem Sturz schon sehr traurig war. Aber dann kommt man nach Hause, ich sehe meinen Sohn, meine Familie, dann kriegt man ein bisschen Perspektive dazu. Dann sagt man, weißt du was, wir sind gesund, wir haben ein abnormales Leben und dafür bin ich sehr dankbar und es gibt Schlimmeres. Ich war am Ende auch sehr froh, dass nichts mit King Edward passiert ist. Du kriegst ja ein bisschen Kopfkino, wenn du siehst, dass das Pferd abgeht. Die Trense war runter und du denkst: Scheiße, jetzt kommt die Trense vielleicht zwischen die Beine. Am Ende schaltet man unglaublich schnell um von totaler Enttäuschung zur Sorge ums Pferd.“

Henrik von Eckermann hat den Sand aus Paris längst abgeschüttelt, lacht in unserem Gespräch viel, wirkt fröhlich, offen und gelöst. „Wenn du keine Schritte in das Unbekannte machst, wirst du nie wachsen. Wenn du nicht fällst und dir die Knie verletzt, wirst du nie Fahrradfahren lernen. Wenn du im Leben nichts riskierst, wirst du niemals etwas lernen. Aber wenn du es tust, wenn du dich herausforderst und aus deiner Komfortzone trittst, hast du gute Chancen, Erfolg zu haben, zu siegen“, ist sein Motto und er lebt das jeden Tag. 

Was ist der Schlüssel zu deinem Erfolg?

Henrik von Eckermann: „Ich habe eine sehr gute Gruppe an Pferden die auch noch sehr kompetitiv sind, also wenn ich zum Turnier fahre, dann kann ich versuchen, jedes Springen zu gewinnen. Außerdem habe ich eine tolle Gruppe an Menschen um mich herum, die mich unterstützen, mit den Pferdebesitzern, meiner Frau, dem Team zuhause, ich habe das ganze Paket und das ist in unserem Sport sehr wichtig. Man sieht ja immer unsere Erfolge, aber das Team drumherum ist unglaublich wichtig, denn ich kann ja nicht immer zuhause sein. Die Leute müssen auf die Pferde aufpassen, sie pflegen und fit halten. Es gibt viele Sachen, die das Rad zusammenhalten“ 

Bist Du ein schlechter Verlierer? Du scheinst sehr mit Dir zu hadern, wenn du z.B. wie 2023 „nur“ Zweiter im Rolex Top Ten Finale  in Genf wirst…(Steve Gueredat gewann vor Henrik von Eckermann)?

Henrik lacht und gibt offen zu: „Ja, das hat mich gejuckt. Und das ist einfach so. Jedes Mal, wenn ich mit King Edward in den Parcours gehe, dann gibt es nur ein Ziel und das ist zu gewinnen. Ich habe das Pferd dafür und normalerweise, wenn ich gut reite, dann habe ich auch eine gute Chance zu gewinnen. Anders ist es, wenn ich zum Beispiel die 9-jährige Cadjanine reite, dann ist es mir vollkommen Wumpe, ob ich platziert bin oder nicht. Dann will ich nur das Gefühl, dass sich mein Pferd in die Richtung entwickelt, dass die Runden besser werden. Ich habe kein Interesse daran, mit jungen Pferden zu gewinnen. Das treibt mich gar nicht. Mich treibt es, den Weg mit den jungen Pferden zu gehen und dann, wenn die Zeit für den großen Sport gekommen ist, auch zu gewinnen. Meine Philosophie ist, die Pferde müssen Fehler machen können und dürfen und daraus lernen. Das Pferd muss einfach durch diese Lernprozesse gehen und zusammenwachsen mit mir, und wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, dann bin ich aber der Erste, der gewinnen will. Aber vorher muss ich das Gefühl haben, dass alles genauso ist, wie ich das möchte.“ 

In welchem Alter kommen die Pferde zu dir? Bildest du sie schon ganz jung aus oder kommen die erst 6- bis 8-jährig zu dir?

Henrik: „Genau, ganz junge Pferde habe ich nicht wegen der fehlenden Zeit und der vielen Turniere. Ich habe Glück, dass ich Besitzer habe, die 7-jährige Pferde kaufen können, und da machen wir es fast immer gleich. Wir kaufen das Pferd, geben dem Pferd dann meist ein Jahr, um sich einzuspielen, dass das Pferd das System versteht. Danach geht es an die Ausbildung, und dann geht’s richtig los, wenn sie neun sind.“ 

Was suchst du in Pferden, welche Eigenschaften sind Dir wichtig?

Henrik: „Diese Motivation der Pferde, den Sport wirklich machen zu wollen, das finde ich absolut das Wichtigste. Die Technik, wie sie springen, das ist mir nicht so wichtig. Sie sollen einfach fehlerfrei auf die andere Seite wollen. Dieser Kampfgeist macht es aus, da habe ich das Glück, dass meine Pferde das total haben. Der Sport ist so schwierig geworden und die Pferde müssen eine unglaubliche Eigeninitiative mitbringen und fast schon etwas freaky sein.“

Gab es für Dich eigentlich jemals eine Alternative zu diesem Sport?

Henrik lacht: „Ja, andere Sportarten habe ich schon gemacht, als ich jünger war, aber ich habe mich unheimlich aufgeregt, wenn ich das Gefühl hatte, dass ich nicht gut genug war.“

Ist das jetzt nicht immer noch so?

Henrik schmunzelt. „Doch, ich denke immer, dass ich nicht gut genug für diesen Sport bin, aber trotzdem schaffe ich ja was. Ich habe zum Beispiel früher mal Eishockey gespielt. Das fand ich super, aber ich habe gemerkt, dass die anderen Jungs viel schneller waren und besser geschossen haben, und da habe ich mich einfach aufgeregt und dann hat es mir auch keinen Spaß mehr gebracht.“

Du bist schon sehr sportbegeistert?

Henrik: „Jaja, absolut. Ich liebe es, Tennis zu gucken, oder andere Sportarten verfolge ich sehr gerne.“

Und wie hälst Du Dich neben dem Reiten fit? 

„Ich versuche, meinen Körper in Schuss zu halten, damit ich reiten kann. Früher habe ich eher Krafttraining gemacht,  jetzt bin ich etwas älter und versuche es eher mit Gymnastik und Dehnen und so, damit ich meinen Körper fit halte.“ 

Wer ist deine größte Nachwuchshoffnung? Meinst du, du wirst nochmal einen zweiten King Edward haben?

Henrik: „Das wird schwierig. Trotzdem muss ich sagen, dass ich viele Pferde hatte, z.B. Mary Lou, bei denen ich immer gesagt habe, so ein Pferd nochmal zu kriegen, wird auch schwierig, und dann kam irgendwann King Edward. Man weiß nie, aber nach oben hin wird es jetzt eng. Ich versuche nur, die Zeit zu genießen, die ich mit ihm habe. Nebenbei bilde ich neue Pferde aus. Ich habe zwei, einmal die 9-jährige Cadjanine, da glaube ich sehr dran. Sie ist noch nicht wirklich bereit für den richtigen Sport, daher bekommt sie noch ein bisschen Zeit. Und dann habe ich noch einen 8-Jährigen, der Steely Dan heißt, der war in Aachen sehr gut, hat jetzt auch schon einen 2-Sterne Grand Prix gewonnen. Das Pferd bekommt jetzt ein bisschen Pause, und dann hoffe ich, dass er neunjährig auch im großen Sport ein bisschen mitmachen kann. Ich versuche meine Pferde immer von unten aufzubauen, weil es einfach unglaublich schnell geht. King Edward ist 14, Iliana ist elf, aber die Zeit vergeht so schnell. Da müssen von unten immer wieder neue Pferde nachkommen.“

Welchen wichtigen Tipp würdest du jungen Reitern geben? Was müssen sie machen, damit sie dahin kommen, wo du bist?

Henrik: „Sie müssen vor allem sehr, sehr viel Geduld haben, das ist glaube ich die Nummer 1. Denn der Sport braucht Geduld, Geduld mit den Pferden und auch mit sich selber. Am Ende verlieren wir so viel öfter als wir gewinnen – auch als Nummer 1 der Welt. Man muss einfach den Weg genießen. Ich habe mich so gefreut, Weltmeister zu werden und all diese Sachen zu gewinnen, aber ich denke nie an das Podium, wie ich da stand und gewonnen habe. Ich denke immer an den Weg dahin und alle Entscheidungen, die wir getroffen haben, um diesen richtigen Weg zu finden, und dann ist das Ergebnis nur das i-Tüpfelchen. Es ist ganz wichtig, dass die Leute das genießen und nicht denken: „Ich will gewinnen und ich will nur zum Turnier.“ Sicher ist das auch wichtig, aber auch der Weg dahin sollte Spaß machen. Klar gibt es auch Tage bei mir, an denen ich keine Lust habe und sage: „Heute regnet es draußen und ich bleib lieber zuhause“, aber die allermeiste Zeit genieße ich den Tagesablauf.“

Was war bisher dein schönster Erfolg, welchen Tag würdest du gern nochmal erleben?

Henrik: „Viele, als ich zum Beispiel meinen ersten Nationenpreis reiten durfte, war das ein besonderer Moment. Es gibt so viele Momente auf dem Weg, die so schön waren. Aber wenn man nur den Erfolg betrachtet, war das sicherlich der Weltmeistertitel.“

Reitet dein Sohn eigentlich auch schon?

Henrik: „Nein, der hat keine Lust zu reiten. Er ist jetzt 3 1/2, aber im Moment will er nicht reiten, sondern nur Trecker fahren. Er liebt Tiere, wir haben ja auch einen Hund. Das hat er gern, er ist auch gern im Stall und streichelt die Pferde und liebt es auch, mit den Mädels im Stall zu sein und da zu helfen, aber wenn wir fragen: „Willst du reiten?“, kommt ein ganz klares „Nein!“

Was sind deine nächsten Ziele, wo startest du als nächstes?

Henrik: „Ich fahre zum Weltcup nach La Coruna und dann nach Genf. Wahrscheinlich starte ich auch noch in London, Mechelen und Basel, aber danach möchte ich nächstes Jahr ein bisschen nach Wellington gehen, da ich eine Besitzerin habe, die dort wohnt und ihr gehört z.B. Cadjanine, auf die ich mich jetzt auch ein bisschen fokussieren möchte, und dann passt das gut in Wellington. Außerdem bin ich schon vorqualifiziert für das Weltcupfinale in Basel, also kann ich noch ein paar andere Sachen machen. Es ist ein straffes Programm, aber auch ein sehr interessantes Programm.“

Text und Interview: Corinna Philipps