Es kommt vor, wie gerade beim CHI in Genf, dass sich wildfremde Menschen vor ihm verneigen: Voller Bewunderung und Anerkennung angesichts seiner sportlichen Leistungen. Marcus Ehning lächelt dann leicht verlegen. Er freut sich über die offene Zuneigung seiner Fans, auch wenn er den Rummel um seine Person nicht zu sehr an sich herankommen lassen möchte.
Marcus Ehning ist bodenständig, ein Vorbild für so viele, ein Stilist im Springsattel, der sich einfühlen kann und immer wieder demonstriert, wie harmonisch und elegant Spitzensport und feines Reiten mit dem Sportpartner Pferd aussehen kann.
spring-reiter.de hat den Mannschafts-Olympiasieger, dreifachen Mannschafts-Europameister, Mannschafts-Weltmeister, dreifachen Weltcup- und CHIO Aachen Sieger sowie zweifachen Deutschen Meister zum Interview getroffen und mit ihm über die Rückkehr von Stargold, Gänsehaut-Momente, Lampenfieber, die schwierige Suche nach guten Pferden und seinen kritischen Blick auf die Sozialen Medien gesprochen, und er hat verraten, warum zu viel Druck bei ihm eher kontraproduktiv ist und was noch auf seiner Bucket-List steht.
Wie geht es Deinem Aachen-Sieger Stargold, er war im Mai zuletzt auf einem Turnier zu sehen?
Marcus Ehning: „Stargold hat eine etwas schwierige Saison gehabt. Er ist vor 3 Monaten operiert worden. Die Sehnenscheide war immer etwas dick, aber das wurde jetzt operiert, um das richtig sauber zu machen, und jetzt muss man gucken, wie sich das alles entwickelt. Natürlich hoffe ich, dass er nochmal wieder in Gang kommt. Eine Prognose kann man aber noch nicht abgeben, das muss sich alles wieder finden. Er ist viel in Bewegung und ist auch schon wieder unter dem Sattel. Noch wird er allerdings nicht wieder richtig gearbeitet, und ich will den Tag nicht vor dem Abend loben.“
Bekommst Du noch Gänsehaut, wenn Du an Euren gemeinsamen Sieg und die Standing Ovations beim CHIO Aachen im vergangenen Jahr denkst?
Marcus Ehning: „Gänsehaut würde ich jetzt nicht sagen, aber das war schon sehr emotional. Wann ist man schon mal letzter Starter im Stechen und weiß dann, dass man gewonnen hat. Da kann man ja die Emotionen direkt rauslassen. Anders ist es, wenn noch drei Starter nach einem kommen und man zittern muss. Es war alles so auf den Punkt, das war beinahe wie in einem Drehbuch.“
Ist Coolio im Moment Dein Top-Pferd?
Marcus Ehning: „Ja, ganz klar. Den habe ich jetzt gut ein Jahr, und was er da allein geleistet hat, das habe ich so auch noch nie mit einem Pferd gehabt. Der hatte eine unfassbar konstante Saison. Ich war jetzt auch gar nicht so weit weg von den Olympischen Spielen, da fehlte nur auf 1,2,3 Turnieren im Sommer die Abstimmung. Coolio ist dieses Jahr auch genial im Großen Preis in Aachen gesprungen. Das war halt sehr ärgerlich mit dem Letzten um, aber da hat sich schon auch abgezeichnet, dass er ein Pferd für die ganz großen Sachen ist.“
Du hast Medaillen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften gewonnen, Große Preise, Weltcups und Nationenpreise. Was steht noch auf Deiner Bucket-List?
Marcus Ehning lächelt verschmitzt: „Oh, da gibt’s noch vieles, was ich gewinnen könnte. Ich habe noch keinen Einzeltitel, Medaillen ja, Mannschaftsmedaillen. Klar, ist das nach wie vor ein Ziel, keine Frage, aber das ist jetzt nicht so, dass ich auf Gedeih und Verderb das alles noch gewinnen muss. Dafür bin ich auch nicht der Typ. Über die Jahre habe ich meinen Weg gefunden, ich muss das auch so ein bisschen auf mich zukommen lassen. Wenn ich zu viel will, dann klappt es meistens auch nicht, also lass ich mich lieber überraschen, als enttäuscht zu sein.“
Sprich, wenn Du Dir zu viel Druck machst, klappt es nicht?
Marcus Ehning: „Ja, also wenn ich das zu sehr will, dann bin ich im Stechen auch zwei Sekunden schneller, habe dann aber einen Fehler, also ich muss den Flow so ein bisschen nehmen, wenn er dann auch da ist.“
Du bist schon so lange dabei, wie motivierst Du Dich jeden Tag aufs Neue?
Marcus Ehning: „Gut, ich muss sagen, wenn ich ein Leichtathlet wäre und jeden Tag ins Fitnessstudio gehen und jeden Tag das Gleiche machen müsste, dann würde ich mich damit schon sehr schwertun. Aber da ich mit Pferden zusammenarbeite, ist es jeden Tag etwas Neues. Dann ist es zuhause mal ein 5-Jähriger oder mal ein Anderer. Nach wie vor reite ich einfach sehr gerne und das macht auch den Unterschied in dem Sport. Ich mache mir den Druck nicht, auch wenn ich mal eine schwächere Periode habe. Trotzdem, wenn ich das passende Pferd habe, sind die Ergebnisse in letzter Zeit wieder besser geworden, und das motiviert mich nach wie vor natürlich sehr.“
Einige Deiner Kollegen können nicht nachvollziehen, dass Du den schweren Priam du Roset reitest, dabei habt ihr sehr gute Ergebnisse erzielt, ihr wurdet u.a. Deutsche Meister 2023…
Marcus Ehning: „Ja, und vor allem ist der eigentlich wie ein kleines Baby. Der ist quasi im falschen Körper geboren. Der ist wahnsinnig sensibel und geräuschempfindlich und er will alles richtig gut machen. Er ist kein Pferd, der einen ärgert, und über die Jahre war er immer im Schatten von Stargold oder Coolio. Aber auf der anderen Seite ist er auch diese Sorte Pferd, mit denen man jeden Großen Preis mitreiten kann, also er hat in den letzten Jahren echt gute Sachen gemacht und er kann einfach die anderen gut entlasten in Qualifikation und sonstigen Sachen.“
Du wirst ja sehr für Deinen Stil bewundert. Das sieht total unaufwendig aus, als würdest Du gar nichts machen, aber das ist offensichtlich die hohe Kunst?
Marcus Ehning schmunzelt: „Das müssen, glaube ich, andere beurteilen, das ist einfach meine Art zu reiten. Das ist natürlich auch viel Interesse und Erfahrung über die ganzen Jahre. In jungen Jahren bin ich durch Stilspringen und die richtigen Reitlehrer zur richtigen Zeit geprägt worden. Meine Statur ist mit Sicherheit auch kein Nachteil dabei und klar, ich versuche schon sehr, mich auf die Pferde einzustellen. Auch wenn manche Pferde ähnlich aussehen, sind sie so verschieden, und das ist über die Jahre halt so gewachsen.“
Du bist ein absoluter Team-Player, immer hilfsbereit. Viele Kollegen fragen Dich auf den Turnieren nach Deinem Rat…
Marcus Ehning: „Naja gut, ich frage meine Kollegen ja auch mal. Ich glaube, dass ich über die Jahre halt auch einfach diese Erfahrung habe und die meisten auch wissen, dass sie von mir eine klare und ehrliche Antwort kriegen. Vielleicht etwas kurz und westfälisch, aber ich sage ihnen halt meine Meinung.“
Gibt es Kollegen, bei denen Du Dir noch etwas abguckst?
Marcus Ehning: „Das kann ich jetzt so spontan gar nicht sagen, aber ich gucke mir einfach viele andere Reiter und Pferde an. Ich bin auch einfach mit vielen Kollegen im Austausch, und dadurch wird der Sport auch nicht langweilig.“
Wie gewinnst Du das Vertrauen deiner Pferde? Was ist der Schlüssel bei Dir?
Marcus Ehning: „Das ist die tägliche Arbeit, das Zusammenspiel. Wie gesagt, jedes Pferd ist anders, und übers Reiten und Einfühlen baut man irgendwie eine Beziehung auf, bis man dann Eins wird.“
Hast Du vor Großen Preisen noch Lampenfieber, wirst Du noch nervös?
Marcus Ehning: „Ja, das hängt so ein bisschen davon ab, wie die letzte Zeit so gewesen ist. Normalerweise gehe ich relativ entspannt an einen Großen Preis ran, aber sicherlich, wenn ich dann abreite und den Parcours gesehen habe, dann kommt das Adrenalin nach wie vor immer noch hoch. Ich glaube, wenn man an so etwas zu entspannt herangeht, ist das auch schwierig. Das muss eine Mischung sein, zu viel darf es nicht sein, aber auch nicht zu wenig.“
Du hast gesagt, dass Du Sorge hast, dass junge Reiter heute den Fokus auf das Pferd verlieren und sich mehr mit dem Drumherum beschäftigen…
Marcus Ehning: „Ja, ich glaube durch die Medien und durchs Internet sind viele natürlich sehr abgelenkt. Das hatten wir früher alles gar nicht. Wir hatten auf der einen Seite gar nicht diesen Druck, dass man auch mal im Internet zerrissen wird, wir sind einfach geritten. Am Ende haben es gar nicht viele gemerkt, wenn‘s gut war, konnte man das erzählen, und ich glaube, das ist schon eine ganz andere Art, damit aufzuwachsen, und in dem Fall sind die Medien da mit Sicherheit nicht immer förderlich, weil man sich selber dadurch schon viel zu sehr unter Druck setzt.“
Hast Du Sorge, dass die Basis im Reitsport mit den ländlichen Turnieren wegbricht?
Marcus Ehning: „Ja, leider schon, weil heutzutage im Großen und Ganzen die Pferde immer besser werden durch die Zucht und alles andere, und das Pferd macht halt meist den Unterschied. Und wenn du da das richtige Reiter-Pferd-Paar hast, egal ob bei Junioren oder Jungen Reitern – auf der Höhe kann das Pferd noch viel ausgleichen und das wird gerade im Ausland gern gemacht. Meiner Meinung nach lernt man das Reiten nur auf jungen Pferden, weil da halt nicht jeder Knopf funktioniert und man versuchen muss, die Pferde dahinzubringen. Am Ende, wenn ich einen Coolio reite, der gut ausgebildet ist, da kann ich auch einen anderen draufsetzen, dann ist das nicht so schwer, wenn man das Pferd erstmal kennt. Aber ein vier- oder fünfjähriges Pferd in den Sport reinzubringen, das ist schon eine ganz andere Herausforderung. Und das geht meiner Meinung nach total verloren, weil die meisten nur noch international reiten wollen. Die ganzen Reiter, die früher die Pferde ausgebildet haben, werden immer weniger, also wird das mit Sicherheit noch ein Problem werden die nächsten Jahre.“
Welchen Tipp würdest Du denn Nachwuchsreitern geben?
Marcus Ehning, dessen eindrucksvolle Karriere schon im Kindesalter begann und der schon mit 15 Jahren Gold bei der Pony-Europameisterschaft gewann: „Ich war selber im Pony-, Junioren- und Junge Reiter-Alter sehr erfolgreich, aber ich habe damals nicht mal gewagt, davon zu träumen, mal bei den Olympischen Spielen zu reiten oder sonstige Sachen. Das war so weit weg für mich. Dann kam irgendwann For Pleasure zu mir, der ja auch den Unterschied gemacht hat, aber ich habe mir vorher nie gesagt, dass ich ein Championat oder sowas reiten möchte, das war für mich einfach zu weit weg. Andere Leute brauchen das, die müssen sich eher pushen. Da muss jeder seine Art finden, aber ich glaube, man sollte die Erwartung an sich selber nicht zu hochstellen, denn am Ende ist es doch schöner, wenn man angenehm überrascht wird, als wenn man enttäuscht wird.“
Wonach suchst Du bei einem Pferd, was müssen Deine Sportpartner mitbringen?
Marcus Ehning: „Ich bin jetzt mittlerweile in der Luxussituation, dass ich einen extrem guten Besitzer habe, der nach wie vor Pferde sucht und dafür viel Geld ausgibt. Das habe ich früher nie gehabt. Viele Pferde, ob das jetzt Plot Blue war, Pret a Tout oder Gitania, die sind relativ alt zu mir in den Beritt gekommen. Dies ist jetzt eine ziemlich neue Situation für mich. Was es nicht unbedingt einfacher macht, weil viele Pferde am Ende durchs Sieb fallen, wo ich dann sage, dass ist nicht so meins. Und wenn mir dann ein Pferd gefällt und ich es probiere, kann es immer noch sein, dass es von oben ganz anders ist, als es von unten aussieht, und ich dann immer noch sage, hm, ist nicht meins. Ich muss einfach das Gefühl haben, dass ich mich in das Pferd reinversetzen kann, wir irgendwo auf einer Wellenlänge sind. Ich muss mir vorstellen können, mit dem Pferd auch die richtig schweren Sachen zu reiten.“
Welche Eigenschaften sind Dir bei Pferden besonders wichtig?
Marcus Ehning: „Das kann man so pauschal gar nicht sagen. Wenn man meine ganzen Pferde sieht, z.B. einen Priam oder Comme il Faut, verschiedener geht es ja gar nicht. Ich habe in meinem ganzen Leben halt sehr viele verschiedene Pferde gehabt. Aber am Ende ist der Kopf von einem Pferd sehr entscheidend. Wie bei den Menschen auch. Man kann immer nur vor den Kopf gucken und merkt erst über die Zeit, kriegen wir da ein Dreh zusammen oder auch nicht. Und dann hat man ja trotzdem immer wieder Rückfälle oder auch mal eine Verletzung oder Sonstiges.
Grundsätzlich müssen meine Pferde sensibel und schon auch sehr, sehr vorsichtig sein, weil ich immer versuche, sie so zum Sprung zu reiten, dass es für die Pferde leicht ist.“
Wie sieht ein ganz normaler Tag im Leben des vierfachen Vaters Marcus Ehning aus?
Marcus Ehning: „Kurz nach sechs stehe ich auf und mache mit meiner Frau Frühstück für die Kinder. Die gehen dann in die Schule und ich in den Stall. Meistens reite ich vier Pferde vormittags und dann ein oder zwei Pferde am Nachmittag. Danach steht oft noch Büroarbeit oder Sonstiges an.“
Reiten Deine Kinder eigentlich auch?
Marcus Ehning: „Meine älteste Tochter reitet ein bisschen. Alle vier Kinder voltigieren sehr viel, zwei Schwimmen noch, zwei spielen Fußball. Die sind sportlich sehr viel unterwegs. Im Moment wollen sie kein Turnier reiten. Das müssen sie auch am Ende selber wissen. Ich finde einfach, das ist ein Sport, entweder muss man das richtig wollen, oder man muss es sein lassen. Ich bin jetzt auch nicht böse, wenn sie es nicht machen. Klar, wenn einer das richtig gerne machen möchte, mit viel Herzblut dabei ist, dann unterstützen wir das auch sehr. Wenn nicht, gibt es auch andere Sachen.“
Wie reagierst Du auf die Menschen, die den Reitsport abschaffen wollen?
Marcus Ehning: „Ich glaube, dass sicher sehr viele Menschen dabei wären, die, wenn man sie mal an die Seite nehmen und ihnen den Sport vernünftig erklären würde, dann den Reitsport sicher mit anderen Augen sehen würden. Vor allem, weil der Reitsport ja auch schon ein Kulturgut ist. Wenn man sich nur mal ansieht, wie lange es Pferde gibt, wie lange wir schon mir ihnen leben und arbeiten. Wenn man mal hinter die Fassaden geht, was ein Pferd, egal auf welchem Niveau, einem Menschen geben kann an mentaler Stärke oder an Ausgleich. Das bekommt man so nicht beim Fußball oder beim Handball. Ich glaube, am Ende haben die Menschen, die den Reitsport ablehnen, nicht genügend Hintergrundwissen. Und es ist wohl auch nur ein kleiner Teil mit einer großen Stimme. Wichtig wäre sicher, dass z.B. die FN mehr Aufklärungsarbeit leistet.“
In den Sozialen Medien wird der Reitsport oft skandalisiert…
Marcus Ehning: „Das ist vor allem in Deutschland so. Ich habe ja eigentlich ein ganz gutes Image, aber wenn ich mal was poste, dann sind da auch mal böse Kommentare dabei. Wenn man dann allerdings guckt, wer so etwas schreibt, und dann sieht, wie die auf dem Pferd sitzen, das Pferd viel zu dick und nicht trainiert ist, relativiert sich Manches. Aber im Internet hat man halt eine Stimme. Das ist ja ähnlich wie bei vielen Sängern oder Politikern, die im Netz auf das übelste von Menschen beschimpft werden, weil die einfach Aufmerksamkeit haben wollen. Die meisten wissen wahrscheinlich gar nicht, was sie mit solchen Kommentaren anrichten. Gerade bei Kindern oder in der Schule. Ich bin daher auch etwas zwiegespalten zum Thema Internet.“
Was sind Deine Ziele für das Jahr 2025?
Marcus Ehning: „Wenn Coolio in Form ist würde ich gerne das Weltcup-Finale in Basel reiten und die Europameisterschaft im nächsten Jahr in La Coruña, und natürlich steht auch Aachen wieder im Kalender.“
Interview: Corinna Philipps
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