„Ich hatte früher immer coole Pferde, aber es gab nie ein Mega-Budget. Man musste sich mit dem zurechtfummeln, was da war. Das hat mir unheimlich viel beigebracht!“ Interview mit Richard Vogel

eingetragen in: Allgemein | 0

Es sind die kleinen Dinge, die oft den großen Unterschied machen: Richard Vogel ist derzeit der beste deutsche Reiter auf Platz sechs der Weltrangliste. Fakt. Er ist hoch talentiert. Keine Frage. Mit einem feinen Gefühl für die Pferde. Zweifellos. Doch er ist eben auch extrem ehrgeizig, über die Maßen fleißig, bis in die Haarspitzen motiviert und äußerst wissbegierig. Der Erfolg kam nicht über Nacht und wurde ihm auch nicht auf dem Silbertablett serviert. Der 27-Jährige musste sich alles hart erarbeiten und hat gelernt, aus einer vermeintlich schlechteren Startposition eindrucksvoll die Pole-Position zu belegen. 

spring-reiter.de hat mit Richard Vogel über wichtige Lehrjahre, seine Konsequenzen aus Paris, über seine Zusammenarbeit mit McLain Ward, seinen jährlichen Ausflug nach Wellington und über überflüssige FEI-Regeln gesprochen. 

Wie wichtig sind Niederlagen für den ganz großen Erfolg?

Richard: „Es braucht sicher Niederlagen, um am Ende zu den ganz großen Erfolgen zu kommen. Ich bin in meiner Kindheit und Jugend nicht durch die einfachste Zeit gegangen, wenn es darum ging, einen guten Beritt zu haben. Ich hatte früher immer coole Pferde, aber es gab nie ein Mega-Budget oder ein Sponsor oder einen Mäzen. Man musste sich mit dem zurechtfummeln, was da war. Das hat mir natürlich unheimlich viel beigebracht und mich auch gelehrt, dass man – im übertragenen Sinne – auch mit einem Auto ins Rennen gehen kann, das 50 oder 100 PS weniger hat. Man muss dann vielleicht das eine oder andere etwas besser machen, aber man ist trotzdem noch konkurrenzfähig, man kann hier und da eine Kurve enger nehmen und den Gegner überholen, auch wenn dieser mehr PS hat. Nur durch solche Situationen wird man auch hungrig und ehrgeizig und macht sich Gedanken, wie kann ich was verbessern. 

Wenn man immer in der komfortablen Situation ist, auf welchem Level auch immer sehr passende, sehr gute Pferde zu haben, die auf einen zugeschnitten sind, dann kommt man ja gar nicht in die Situation, dass man sich Pferden anpassen muss. Man kann das auch immer wieder sogar auf 5-Sterne Turnieren beobachten, wenn es zu Problemen im Parcours kommt, Pferde zum Beispiel mal vor einer guckigen Mauer verweigern. Dann kann man gut sehen, welcher Reiter seinem Pferd Vertrauen gibt, es gut einrahmt, damit das Pferd dann im Idealfall entspannt den Parcours weiterspringt. Oder man sieht die Reiter, die hektisch werden, das Pferd alleine lassen und dies dann gar nicht weiß, was es tun soll und ob es jetzt die Situation alleine ausbaden soll.“

Wie denkst Du heute mit etwas Abstand über die Olympischen Spiele in Paris? 

Richard: „Ich bin davon überzeugt, dass schwierige Situationen einen nur weiterbringen und einen stärker machen. So ist es dann natürlich auch für mich mit den Erfahrungen von Olympia in Paris. Es ist da kein Trauma übriggeblieben und es war auch kein Drama. Aber man kann unseren Auftritt in Versailles auch nicht als Erfolg verbuchen. Es war schon tendenziell eher ein Misserfolg. Die Erwartungen waren deutlich höher, die haben wir nicht erfüllt, und daraus müssen wir lernen und auch stärker werden. Natürlich würde ich lügen, wenn ich behaupten würde, nach so einer Runde in Paris bin ich super gelaunt und denke, oh ja, das gibt mir jetzt Motivation. Da ist die Laune natürlich erst einmal im Keller. Aber nach ein paar Tagen sickert es dann durch und man hat das verarbeitet und dann bekomme ich durch so etwas deutlich mehr Motivation als durch Siege.“

Richard Vogel nennt Beispiele: „Ich war etwa nach dem CHIO Aachen ein paar Tage unheimlich schlecht gelaunt. Und das lag jetzt nicht am Fehler am letzten Sprung, oder dass ich Dritter im Großen Preis wurde und nicht gewonnen habe. Dabei hatte ich eigentlich die Woche meines Lebens mit den zahlreichen Siegen (4 Siege und 10 x unter den ersten 3 – Anm. der Redaktion). Manchmal, nach sehr guten Wochen, ich kann es gar nicht selber so verstehen, bin ich fast schlechter gelaunt, als wenn es schlecht lief. Denn nach Erfolgen hängt die Latte dann auch immer gleich wieder etwas höher und ich denke, da musst du erst mal wieder rankommen. Dieses Gefühl trübt dann die Freude über Siege.“ 

Was macht Dir Hoffnung? 

Richard: „Hoffnung macht mir natürlich, dass wir ja beide noch recht jung sind und hoffentlich noch ein oder zwei Chancen kriegen. Olympische Spiele sind natürlich etwas ganz Besonderes, da weiß man nie, ob man da noch mal wieder hinkommt. Aber ansonsten kann man natürlich immer die Hoffnung haben, hoffentlich dürfen wir es noch mal erleben. Wenn United gesund bleibt und wir einen guten Job mit ihm machen, dann kann er das ja hoffentlich noch ein paar Jahre länger machen.“

Was lief Deiner Meinung nach schief in Paris? 

Richard: „Bei den Olympischen Spielen muss natürlich alles auf den Punkt passen. Und das hat es bei uns nicht. Ich hätte schon im Vorfeld alles etwas besser managen müssen, ich war fast ein bisschen übereifrig, dachte, je mehr ich United reite, je mehr Konditionsarbeit ich mache, desto besser, desto mehr Kraft und Power und Kondition hat er dann auch. Wir haben dann zwei Wochen vorher alles etwas zurückgefahren und ihm etwas Zeit gegeben. Damit dann der Energielevel wieder hoch geht und er richtig Saft hat, so war der Plan. Dieser Peak kam nur leider ein bisschen später als geplant. Das habe wir auf jeden Fall daraus gelernt. Bei anderen Pferden hätte es genau so vielleicht hingehauen, aber so ist eben jedes Pferd auch individuell.

Das ist das eine und dann kommen wir dazu, was in Paris selber hätten besser laufen können. Es kam zu dem einen Fehler, was schon nicht hätte sein müssen, hätte ich nicht zu sehr die Zeit im Kopf gehabt. Ich wusste, dass ich die letzte Linie ansetzen kann, wenn ich das zehnmal mache, geht es neunmal gut, weil United so viel Galopp hat. Nur war das dann alles etwas aus der Hektik heraus entstanden. Wenn ich z.B. ein Stechen reite, dann fange ich ja oft schon mit richtig viel Galopp an. Ein Zwei-Phasen-Springen wäre jetzt zum Beispiel nicht seins, weil United sich da überfallen fühlen würde. Wenn man von einem normalen Tempo plötzlich den Schalter umlegt und sagt, jetzt los. Dann geht er zwar los, aber verliert auch etwas die Übersicht dabei. Das war da das Problem. Der Plan in den letzten beiden Distanzen jeweils einen weniger zu machen und die waren ja schon auf vorwärts angelegt, ich wusste, dass ist umsetzbar und realisierbar, aber es war alles zu hektisch und panisch nach vorne angelegt. Da hat die nötige Ruhe gefehlt und so kam es zu den Abwürfen.“

Du bist derzeit rund um den Globus unterwegs, hast Du noch Zeit junge Pferde auszubilden?

Richard: „Ja, ich habe auch wieder Pferde eingeritten, ich weiß jetzt gerade nicht, wie viele, aber das mache ich sehr gerne, das ist mein Herzblut. Wenn Leute nach meinem Hobby fragen, dann erwähne ich das immer gerne. Wenn ich Montags, Dienstags und oft auch Mittwochs zu Hause bin, dann sind es meist mehr als zehn Pferde, die ich reite, davon sind zwei Drittel junge Pferde, weil mir das schon sehr wichtig ist. Das ist natürlich sehr zeitintensiv. Aber am Ende ist alles eine Frage der Prioritäten.“

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit McLain Ward und wie kam es dazu?

Richard: „Ich habe immer davon profitiert, dass ich sehr gute Lehrmeister an meiner Seite hatte. Die allererste war meine Mutter, dann hat mein Onkel weiter gemacht, der immer an meiner Seite blieb, dann habe ich bei Herberts die Lehre gemacht, bei denen konnte ich viel, gerade was die Jungpferde-Ausbildung angeht, lernen. Dann war ich ja zweieinhalb Jahre bei Ludger, für so ein Idol zu reiten ist natürlich ein Privileg. Dann habe ich mich selbstständig gemacht und hatte u.a. Pferde von Hugo Simon. Das war auch noch mal eine ganz andere Herangehensweise. In meinem ersten Jahr in Wellington dachte ich mir dann, es wäre eigentlich cool, wenn man hier jemanden hätte, der einem die amerikanische Reitweise nahebringen kann. Zum einen natürlich, um die Reitweise zu lernen, und zum anderen natürlich auch, um in Kontakt mit potentiellen Kunden zu kommen, um das ganze System auch etwas besser zu verstehen. Ich bin dann auf einem Turnier einfach mal zu McLain Ward hingegangen und habe gefragt, ob er zwei Minuten hat. Ich kannte ihn damals noch überhaupt nicht. Ich habe dann gefragt, ob ich mal zum Training kommen könnte. Damals bin ich auch noch nicht auf dem Level von heute geritten, das war mein erstes Mal in Wellington, ich war noch U25. Er war dann ganz aufgeschlossen und hat gesagt, ruf mich einfach Anfang der Woche mal an. Danach habe ich herausgefunden, dass das Training bei ihm normalerweise rund 1 Million Dollar im Jahr kostet. Dann habe ich ihn Anfang der Woche angerufen und ihm gesagt, ich sei sehr, sehr interessiert und hoffe, ich kann mich auch irgendwann mal auf irgendeine Art revanchieren. Aber mit bezahlen wird es schwierig. Er hatte wohl auch versucht, etwas über mich heraus zu finden, er wusste, dass ich ehrgeizig bin, aber er hat schon gemerkt, dass ich jetzt nicht sein nächster Top-Kunde bin. 

McLain Ward sagt allerdings auch, je mehr ich mich mit jungen Leuten umgebe, desto jünger bleibe ich auch. Ich gehe lieber mit der Zeit, als wenn ich nur mit den Leuten meiner Generation abhänge und wir alles so machen wie vor 30 Jahren und vielleicht auch den Anschluss verlieren. Was so etwas angeht, macht sich McLain Ward sehr viele Gedanken und er ist sehr schlau. Schon in dieser Hinsicht konnte ich sehr viel von ihm lernen. So hat es im ersten Jahr ganz locker angefangen, dass ich ein paarmal bei ihm war. Ich fand es immer sehr lehrreich. Ich bin dann immer mit einem Pferd zu ihm auf den Platz gefahren. Er hat sich ganz unkompliziert 20 Minuten Zeit genommen, wir haben ein paar Sprünge gemacht, sind einen Parcours geritten, und das war sehr lehrreich, auch weil er oft ganz andere Ansätze hat als wir Europäer.“

Welche anderen Ansätze sind das zum Beispiel?

Richard: „Die Art und Weise, auf dem Pferd zu sitzen, ist leichter. Dazu tendieren wir ja jetzt in Europa auch. Aber wenn man überlegt, wie die deutsche klassische Weise zu reiten ist, dann ist das glaube ich nicht so, wie ich auf dem Pferd sitze. Ich bin da schon von der amerikanischen Reitweise beeinflusst und habe z.B. die Zügel eher kurz. Es gibt auch Reiter in Europa, die das machen, siehe Henrik von Eckermann. Aber die Amerikaner haben das immer schon so gemacht, das leichte Sitzen oder sogar raus aus dem Sattel, immer mit der Bewegung, nie hinter der Bewegung.

Auch das Parcours-Abgehen ist anders. Ich bin früher z.B. nie das Stechen abgegangen. Das ist etwas, was ich wirklich bei ihm gelernt habe und was mir bei einem Pferd wie United Touch unheimlich viel hilft, weil man damit einfach besser planen kann. 

Was auch noch ein riesiger Unterschied ist, die Amerikaner sind personaltechnisch immer sehr gut aufgestellt. Pro Pfleger haben die relativ wenig Pferde. Ich habe früher gedacht, das ist ja fast schon Verschwendung. Aber man kann sich so auch noch über viel mehr Details Gedanken machen, wenn man die nötige Zeit dafür hat. Anders als wenn man mit sechs oder sieben Pferden und nur einem Pfleger zum Turnier fährt und man nur am Laufen ist.“

Du startest dein sportliches Jahr 2025 auch wieder in Wellington?

Richard: Ja, man muss das auch als Investition sehen. Natürlich muss sich das auch in dem Jahr, in dem wir das machen, halbwegs rechnen. Dennoch ist es eine nötige Investition, um einfach auch die Kontakte herzustellen. Oft entstehen daraus auch Folgegeschäfte.“

Du engagierst Dich auch als Mitglied des Vorstandes im International Jumping Riders Club. Warum ist das für Dich so wichtig? Welche Probleme siehst Du?

Richard: „Es wäre wünschenswert, wenn wir Reiter das Gefühl bekommen würden, die FEI steht hinter den Reitern und will ihnen dabei helfen, etwas Gutes für den Sport tun. Stattdessen hat man leider oft den Eindruck, die FEI will für alle Aktiven, alle Turnierveranstalter, alle Stewards, für alle, die involviert und aktiv im Sport sind, alles noch komplizierter machen. 

Plötzlich will man die Festigkeit des Nasenriemens nicht mehr wie bisher mit zwei Fingern überprüfen, weil wir ja alle unterschiedlich dicke Finger haben, so das Argument. Aber es wird ja auch niemand Steward, der keine Ahnung von Pferden hat. Da müsste man also wohl etwas Common Sense voraussetzen. Nun will die FEI also dieses Plastik-Tool einführen, wenn es zwischen Riemen und Pferd passt, ist es gut, wenn nicht, dann passt es nicht. Das ist ja schön und gut. Allerdings ist es schon oft ein Akt, die Gamaschen abzumachen, wenn man aus dem Parcours rauskommt, weil die Pferde unter Strom und voller Adrenalin sind.

Wir Reiter haben mit der FEI diskutiert, ob das nun wirklich nötig ist. Bei der FEI sagten sie, sie hätten einen Test gemacht mit 600 Pferden. Davon war der Nasenriemen bei 3 Pferden zu stramm und musste korrigiert werden. Jetzt würde ich sagen, wenn der Schnitt 600 zu 3 ist, sehe ich das nicht als wirklich großes Problem. Die drei betroffenen Reiter haben den Riemen lockerer gemacht und dann war es erledigt. 

Wir Reiter haben manchmal das Gefühl, dass die von der FEI vergessen, woher kommt denn der Nasenriemen, woher kommt das Reithalfter, das haben wir ja nicht erfunden, das gibt es seit eh und je. Zu 99.9 Prozent hat es jedes Pferd. Ist ja nicht jeder doof, der ein Reithalfter drauf macht. Alles hat seinen Grund und mit einem ordentlich sitzenden Reithalfter hat man eine gute Verbindung. Es gibt ja mittlerweile Dinge, die sich ändern, viele Leute die vieles hinterfragen, wie zum Beispiel die Geschichte mit dem Eisen. Weil man sich immer fragt, wie fühlt sich mein Pferd wohler, wie wird die Rittigkeit besser. Es geht ja nicht darum, dass die Pferde 20 cm höher springen oder 2 Sekunden schneller sind. 

Da würde man sich als Reiter bei der FEI etwas mehr Sachverstand wünschen. Manchmal hat man das Gefühl, dass die FEI meint, die Reiter wollten etwas Schlechtes für das Pferd oder hätten etwas Negatives im Sinn, und dann wollten sie Regeln dafür einführen, dass das unterbunden wird.“ 

Ihr – David, Sophie und Du habt eine eigene Reit-Anlage gekauft? 

Richard: „Ja, aber das ist noch nicht richtig spruchreif. Es ist eine bestehende Anlage im Raum Frankfurt, in die wir aber noch viel Zeit und Arbeit hineinstecken müssen. Ziel ist, dass man irgendwann dort alles haben kann und nicht mehr pendeln muss. Ein Umzug ist aber noch in weiter Ferne und das kann auch noch Jahre dauern. Wir werden sicher noch einige Zeit in Pfungstadt sein. Denn ein Teil muss abgerissen werden, es wird neu gebaut und renoviert. Für uns war es immer ein Traum, eine eigene Anlage zu haben, auch wenn es natürlich erst mal eine finanzielle Herausforderung ist.“

INTERVIEW: Corinna Philipps

COPYRIGHT:

Die Vervielfältigung unserer Artikel ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung nicht gestattet. Alle Rechte sind www.spring-reiter.de vorbehalten. Bei Urheberrechtsverletzungen behalten wir uns rechtliche Schritte vor. 

No reproduction of any articles will be accepted without a permission, all rights reserved www.spring-reiter.de If copyright violations occur, a penalty fee will apply.